Die Westschweizer Gärtnermeister und Gewerkschaften haben erreicht, was der Deutschschweiz noch immer fehlt: flächendeckende Gesamtarbeitsverträge im Gartenbau.
DURCH DIE BLUME: 2013 streikten in Schaffhausen 80 Gärtnerinnen und Gärtner für mehr Lohn und einen GAV. (Foto: Unia)
Das gab’s noch nie: Ab dem 1. September wird der Garten- und Landschaftsbau der gesamten Westschweiz von Gesamtarbeitsverträgen (GAV) abgedeckt sein – und zwar von allgemeinverbindlichen. Denn die Gewerkschaften Unia und Syna sowie der Berufsverband Grüne Berufe Schweiz haben mit dem Gärtnermeisterverband Jardin Suisse einen taufrischen GAV ausgehandelt. Er gilt für die Kantone Freiburg, Jura, Neuenburg sowie für den Berner Jura und die Gemeinden Biel und Leubringen-Magglingen. Am 9. August erklärte der Bundesrat das Vertragswerk für allgemeinverbindlich. Schon Jahre zuvor war dies mit den Gärtner-GAV der Kantone Genf, Waadt, beider Basel sowie des Unterwallis geschehen.
ENDLICH MINDESTLÖHNE
Folglich müssen erstmals sämtliche in der westlichen Schweiz tätigen Gartenbaufirmen Mindestlöhne und andere Standards einhalten. Poliere der neuen Vertragsregionen etwa verdienen künftig mindestens 5200 Franken im Monat, qualifizierte Mitarbeitende mit Berufserfahrung mindestens 4725. Und ab 2023 muss endlich auch der tiefste Lohn (für Ungelernte mit weniger als 3 Jahren Berufserfahrung) minimal 4000 Franken betragen. Für Nico Lutz von der Unia-Geschäftsleitung sind diese Löhne zwar noch nicht befriedigend. Dennoch ist er erfreut: «Dieser GAV ist ein Meilenstein im Kampf gegen Lohndumping. Denn die vielen Vertragslücken in der Romandie sind jetzt komplett geschlossen.»
Sogar «grossartig» findet diesen Fortschritt der Landschaftsgärtner und Unia-Sekretär Tom Hauser. Er verweist auf eine Reihe Neuerungen, die der Vertrag garantiert: etwa die bezahlte Znünipause, die 17 Franken Mittagsspesen, die Beiträge für Weiterbildungen oder die fünf Tage Bildungsurlaub pro Jahr. Und auch die seit langem geforderte Frühpensionierung mit 62 rückt näher. Denn die Parteien haben sich verpflichtet, während der Vertragsdauer eine Lösung zu finden. Grossartig sei aber vor allem eines, sagt Hauser: «Mit Freiburg und Biel ist die Unia erstmals auch in Richtung Deutschschweiz mit einem Gärtner-GAV durchgedrungen.»
Der GAV war auch von den Meistern gewollt – um Billigkonkurrenz aus Frankreich fernzuhalten.
AUFHOLBEDARF
Tatsächlich haben sich die Deutschschweizer Sektionen des Gärtnermeisterverbands bisher geweigert, mit der Unia zu verhandeln. Stattdessen baten sie jeweils einzig den ihnen genehmen Verband Grüne Berufe Schweiz zu Tisch. Mit dem Resultat, dass ihr nationaler «GAV für die Grüne Branche» für die Arbeitnehmerseite lange alles andere als üppig ausfiel. Inzwischen aber sei dieser GAV in vielen Punkten deutlich verbessert worden, anerkennt Unia-Mann Lutz. Dies nicht zuletzt deshalb, weil engagierte Gärtnerinnen und Gärtner mit der Unia beharrlich Druck gemacht hatten (siehe unten). Dennoch bleibe das Hauptproblem bestehen. Lutz sagt: «Weil die Unia ausgeschlossen wird, kann der Bundesrat den Vertrag nicht für allgemeinverbindlich erklären.» Das bedeutet: Nur Mitgliedsfirmen von Jardin Suisse müssen den Vertrag einhalten; mindestens 30 Prozent der Gärtnerinnen und Gärtner bleiben ohne jeden GAV-Schutz. Ausserdem fehle dem nationalen Vertrag ein griffiges Kontrollorgan, sagt Lutz. Tieflöhne und Lohndumping seien im Gartenbau deshalb noch immer verbreitet – zumal der nationale GAV auch für ausländische Firmen nicht gelte.
NATIONALER GAV
Anders der neue GAV aus der Westschweiz. Er war auch von den Arbeitgebern gewollt – um Billigkonkurrenz aus Frankreich fernzuhalten. Das bestätigt Jardin-Suisse-Geschäftsführer Carlo Vercelli. Nun liegen bekanntlich auch Deutschschweizer Kantone an der Landesgrenze. Auch sie bekommen den Preisdruck ausländischer Firmen zu spüren.
Und nicht nur das, weiss der Zürcher Gartenbauer und aktive Gewerkschafter Simon Steinemann: «In den letzten Jahren schossen Liegenschaftsunterhaltsbuden wie Pilze aus dem Boden. Diese sogenannten Facility Manager drücken die Preise der grünen Branche massiv.» Ein allgemeinverbindlicher GAV würde auch dieses Problem mildern, sagt Steinemann. Und er ist überzeugt: «Was die Romandie kann, muss auch bei uns möglich sein!» Zumindest bei Grüne Berufe Schweiz rennt er damit offene Türen ein. Präsidentin Barbara Jörg fände nämlich einen nationalen allgemeinverbindlichen GAV am besten, wie sie zu work sagt. Und: «Wir sind grundsätzlich bereit, mit der Unia zusammenzuarbeiten. In der Westschweiz hat das gut funktioniert.»
Proteste im Gartenbau: Fast 20 Jahre grün schillernde Aktionen für einen GAV
AKTION IN BERN, 2018: «Kein troianisches Pferd mit dem nächsten GAV!» (Foto: Unia)
2002: Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU: Lohnkontrollen entfallen. Im Gartenbau sinken die Medianlöhne bis 2004 (Einführung der flankierenden Massnahmen zum Lohnschutz) um fast 26 Prozent. Nicht aber in Branchen mit allgemeinverbindlichen GAV. Im Bau etwa steigen die Löhne um 5 Prozent.
2006: Wegen Kosten für Vollzugskontrollen wollen Chefs keinen GAV mehr.
2011: In einer Studie zeigt der Kanton Bern, dass dort 10 Prozent der Gartenbauangestellten Hungerlöhne verdienen: 12 Mal 2373 Franken brutto.
2012: «Schöne Traumgärten und miese Arbeitsbedingungen? So nicht!» Unia-Aktion an der Gartenmesse Giardina in Zürich.
STREIKERFOLG. 2013 in Schaffhausen. (Foto: Unia)
2013: In Schaffhausen treten 80 Gärtnerinnen und Gärtner verschiedener Firmen in einen 5tägigen Streik. Sie erzielen Lohnerhöhungen von bis zu 900 Franken. In der Folge steigen auch schweizweit die Löhne. Und in Schaffhausen unterzeichnet Jardin Suisse einen GAV – allerdings ohne Unia. Die Unia-Forderung von 5 Ferienwochen (6 für über 50jährige) wird aber erstmals erfüllt.
2016: «Platz für einen GAV!» Gärtnerinnen und Gärtner verlegen Rasen auf dem Berner Bahnhofplatz.
2017: «Für Frühpensionierung und 5 Wochen Ferien!» Gärtnerinnen und Gärtner besetzen Sihlbrücke in Zürich.
2018: «Meister verdienen sich Goldfinger!» James-Bond-Double besucht Gartenbauer am Zurich Filmfestival.
2020: Das Bundesgericht pfeift die Schaffhauser Regierung zurück. Sie hat den kantonalen GAV für allgemeinverbindlich erklärt, obwohl die Unia von den Vertragsverhandlungen ausgeschlossen worden war.