Jean Ziegler
Kroatien ist seit 2013 Mitglied der Europäischen Union. Seitdem soll es auch die Südgrenze der EU vor flüchtenden Menschen aus den benachbarten Kriegsgebieten «schützen».
Erik Marquardt ist Vertreter der deutschen Grünen im Europaparlament und Mitglied der Untersuchungskommission zum Vorgehen der Grenzpolizei Frontex. Er hat soeben ein erschütterndes, kluges Buch geschrieben: «Europa schafft sich ab».
ABSCHRECKUNG. Einigen geplagten Familien aus Syrien, Afghanistan und dem Irak gelingt es, über die Türkei bis in die überfüllten Elendslager in Bosnien-Herzegowina zu gelangen.
Von dort versuchen sie, durch die Stacheldrahtverhaue an der Grenze ins EU-Land Kroatien zu kommen, um ihr Asylgesuch zu deponieren.
Marquardt berichtet im «Sonntagsblick» (1. 8. 2021): «Es häufen sich die Fälle von Folter an der kroatisch-bosnischen Grenze. Flüchtlinge werden gezwungen, sich zu entkleiden. Ihnen werden die Haare geschoren, Kreuze auf die Stirn gemalt und Fingernägel ausgerissen.»
Das rassistische Folterregime in Zagreb wird von Frontex unterstützt. Dabei ist die Behauptung, die EU könne das Asylrecht aufgrund des Widerstands osteuropäischer Mitgliedstaaten nicht mehr einhalten, verlogen. Vielmehr hat sich Brüssel gemeinsam für die Abschottung entschieden und damit dafür, die eigenen Gesetze zu brechen. Die Misshandlungen an der kroatisch-bosnischen Grenze, die Vertreibung von Flüchtlingsbooten in der Ägäis oder die Einschränkung der Asylverfahren haben alle nur ein offensichtliches Ziel: andere davon abzuhalten, auch nur den Versuch zu wagen, ein Asylgesuch zu stellen.
NOCH MEHR GELD FÜR FRONTEX. Am Dienstag, dem 31. August, hielt US-Präsident Joe Biden vor dem versammelten Pressecorps des Weissen Hauses eine emotionale Rede zur Situation in Afghanistan. Er schloss mit den Worten: «Die USA und ihre Verbündeten werden die zurückgebliebenen Ausreisewilligen nicht im Stich lassen. Wir werden ihnen zur Ausreise verhelfen.»
Bidens Versprechen ist, was die europäischen Alliierten betrifft, eine reine Lüge. In der vorletzten Augustwoche tagten die Innen- und Justizminister der EU. Mit am grossen Verhandlungstisch sass auch Bundesrätin Karin Keller-Sutter. Einziges Traktandum: Wie kann die EU, auch die Schweiz, verhindern, dass die vom fürchterlichen Taliban-Regime bedrohten Menschen als Flüchtlinge nach Europa kommen können?
Zu diesem Zweck wird das Budget der Frontex weiter massiv aufgestockt. Und daran beteiligt sich auch die Schweiz. Sie will ihren Beitrag in den nächsten Jahren von 14 auf über 60 Millionen Franken jährlich aufstocken. Und der Bundesrat erklärt sich für solidarisch mit dem europäischen Grenzschutz im Mittelmeer, in der Ägais oder auf dem Balkan.
Das ist eine Schande für unser Land.
Jean Ziegler ist Soziologe, Vizepräsident des beratenden Ausschusses des Uno-Menschenrechtsrates und Autor. Im letzten Jahr erschien im Verlag C. Bertelsmann (München) sein neustes Buch: Die Schande Europas. Von Flüchtlingen und Menschenrechten.
Warum nur schaffen es die „Flüchtlinge“ nicht zu den Kapitalisten&Sozialisten am Genfersee? Also zum Hans, dem Hüslibesitzer und Jetsetter. Oder zu Erik, Heiko und Angela im grossen Kanton? Die können doch (privat) so viel mehr bieten, als meine Grosseltern in den Kriegsjahren, die sie für flüchtende und obdachlose Menschen ihr Haus geteilt haben – für ein Vergelts-GOTT (!).