Liva Tresch (88) steht offen zu ihrer Homosexualität. Auch damals, als sich Lesben, Schwule und Bisexuelle noch verstecken mussten. Und sie schoss einmalige Bilder in der Zürcher Barfüsser-Bar.
REGENBOGEN-PARTY: Das Zürcher Lokal war der Treffpunkt für Schwule, Lesben, Bi- oder Transsexuelle. Fotografin Liva Tresch war hinter der Linse mit von der Partie. (Fotos: Liva Tresch / Sozialarchiv)
Ihrem Kopf gehe es noch sehr gut, sagt Liva Tresch am Telefon. Nur die Beine und der Rücken, die seien müde geworden. Kein Wunder, bei so einem bewegten Leben: Geboren 1933 in Gurtnellen, Uri. Uneheliches Kind, dann Pflegeltern: «Ich war ein Unfall, aber das sagte mir meine Mutter nie. Aber sie sagte, ich hätte ihr das ganze Leben versaut.» Statt Liebe sexuelle Übergriffe durch den Pflegevater. Mit fünfzehn von zu Hause weggejagt: «Ich kämpfte mich fortan alleine durchs Leben.»
Und dann passierte es: Kollegen nahmen Tresch in eine Schwulenbar im Zürcher Niederdorf mit: «In der Ecke sass eine junge Frau, die aussah wie ein Büebel, mit kurzen dunklen Haaren und schönen grossen Augen. Meine Kollegen sagten, das sei eine Schwule. Das Wort ‹Lesbe› brauchte man in den fünfziger Jahren noch nicht. Ich musste sie immer anschauen und fand sie wunderschön.» Und plötzlich dämmerte es ihr: «Ich bin unehelich, dumm und jetzt auch noch schwul! Herrgott, du Schafseckel, was fällt dir nur ein! Ich wollte direkt nach Sisikon und von der Axenstrasse runterspringen, da gibt es keine Sauerei. Tagelang war ich völlig ausser mir, doch irgendwann fand ich: Du Gott, wenn du mich schon so gemacht hast, dann nimm mich auch, wie ich bin.»*
KONICA UND ROLLEI-BLITZ
Die Regenbogenfahne hängt am Haus. Tresch sagt: «Schon lange, aber auch für die Abstimmung vom 26. September» (siehe Text unten). Und sie wolle gerne Folgendes im work lesen: «Regenbogenkinder sind Wunschkinder – und keine Unfälle!» Nicht so wie sie, sagt Tresch: «Ich komme aus feinsten heterosexuellen Verhältnissen und hatte eine schreckliche Kindheit!» Dies ganz im Gegensatz zu ihren Urgrosskindern, die alle drei Regenbogenkinder sind aus wunderbar lesbischen Familien. Gezeugt vom Samen eines schwulen Spenders und Freundes von Tresch.
Fotografin Liva Tresch. (Foto: Swiss Lezzy)
Es war zwischen 1963 und 1970: Da avancierte Liva Tresch zur Szenenfotografin in der Zürcher Regenbogen-Bar Barfüsser, dem «Fuess». Sie hatte das Exklusivrecht zum Knipsen. Mit Konica und Rollei-Blitz hielt sie «meine Familie fest». An der Fasnacht, sonst an Festen, an der Frauenbar und an der Männerbar. Entstanden sind einmalige Zeitdokumente der schwul-lesbisch-transsexuell-bisexuellen Kultur dieser Jahre.** Dokumente ausgelassener Stimmung, obwohl mann und frau damals «ungeheuer überwacht», diskriminiert und verfolgt wurden. Oder vielleicht gerade deswegen, meint Tresch: «Im ‹Fuess› waren wir geschützt. Die von der Securitas, die auch zur Gemeinde gehörten, passten auf, dass keine Schläger reinkamen.»
Und wer ein Foto von sich wollte oder eines ihrer Liebsten, steckte einfach einen Zweifränkler in ein Couvert und die Nummer des gewünschten Bildes. Und Tresch lieferte, ohne die Namen der Bestellenden zu kennen. Die kannte nur Barman Max. Schliesslich musste man sich vor dem Verpfeifen schützen. Nie habe sie jemanden verpfiffen, sagt Liva Tresch, stolz darauf bis heute. Dabei «chlönten» immer alle bei ihr: «Ich sah nie aus wie ein Fotograf, ich war wie eine Puffmutter!» Und Tresch lacht.
DAHINTER UND DOCH DABEI
Und dann wurde «aus mir Bauerntoggel» doch noch was, erzählt Liva Tresch. Als Fotografin bildete sie sich immer weiter. Zum Beispiel kniete sie sich im Colorlabor ihres ehemaligen Laborchefs in die neue Farbtechnik rein. Kodak und Agfa wollten sie abwerben. Und 1968 kam dann das eigene Geschäft in Zürich, ebenfalls mit Labor. Und mit Partnerin Katrin. Ihr Fotoapparat sei ihr Leben gewesen, erzählt Tresch: «Mit ihm fühlte ich mich wohl. Wenn ich an einem Fest war, versteckte ich mich hinter ihm und war trotzdem dabei.»
* Ein ausführliches Portrait von Liva Tresch publizierte Corinne Rufli 2015 in ihrem Sammelband «Seit dieser Nacht war ich wie verzaubert – frauenliebende Frauen über siebzig erzählen», Verlag Hier und Jetzt. Und auch im Film «Katzenball» (2005) von Regisseurin Veronika Minder erzählt Liva Tresch ihre Geschichte.
** Ihren Foto-Schatz hat Liva Tresch dem Sozialarchiv übergeben.