Die Schweiz in der Weltregierung

Jean Ziegler

Jean Ziegler

August 1941: Die Nazi-Monster beherrschen fast den ganzen europäischen Kontinent. Vor der Küste von Neufundland ankert im sturmgepeitschten Nord­atlantik der amerikanische Kreuzer «USS Augusta». An Bord sind der britische Premier Winston Churchill und US-Präsident Franklin Delano Roosevelt. Trotz der schrecklichen weltpolitischen Lage glauben sie felsenfest an den Sieg der Demokratien. Sie entwerfen die Atlantik-Charta, das Ursprungsdokument der kommenden neuen Weltordnung, der Uno, die dann vier Jahre später Wirklichkeit werden sollte.

NOTBREMSE. Ein Streit entzweite die beiden Unbeugsamen. Roosevelt wollte eine radikal demokratische Uno, in der jeder Staat, ob gross oder klein, genau die gleichen Rechte und Pflichten hat. Churchill widersprach: Auch eine radikal demokratische Generalversammlung könnte die eigenen Werte zerstören. Siehe Deutschland. Im November 1932 gewannen die Nazis das relative Mehr im Reichstag. Im Januar 1933 wurde Adolf Hitler Kanzler. Drei Wochen später stimmte das Parlament dem Ermächtigungsgesetz zu und schaffte sich selbst ab. Churchill meinte deshalb, es brauche eine Notbremse, eine Exekutive, die einen eventuell demokratisch verordneten Wahnsinn stoppen könnte.

Churchill gewann. Heute ist der Sicherheitsrat so etwas wie eine Weltregierung. Ihre Resolutionen sind Völkerrechtsnormen.

Diese Weltregierung besteht aus den fünf ehemaligen Siegermächten des Zweiten Weltkrieges, die jede ein Vetorecht besitzt. Hinzu kommen zehn nicht permanente Mitgliedstaaten. Sie werden alle zwei Jahre gewählt. Die 193 Uno-Staaten sind in fünf Ländergruppen organisiert. Jede hat Anrecht auf zwei Sitze. Die Schweiz gehört zur westeuropäischen Ländergruppe.

Die reaktionären Uno-Feinde werden alles tun, um die Schweizer Diplomatie zu sabotieren.

HEIMATFRONT. Nach Ansicht der Beobachterinnen und Beobachter hat die Schweiz eine aktive, erfindungsreiche, überaus angesehene Diplomatie. Schweizer Diplomatinnen und Diplomaten ­kämpfen hinter den Kulissen seit drei Jahren für ihre Mitgliedschaft in den Jahren 2023 und 2024. Mit Erfolg: Für die im Juni nächsten Jahres vorge­sehene Wahl hat die westeuropäische Ländergruppe Malta und die Eidgenossenschaft vorgeschlagen. Ihre Wahl wäre ein grossartiger Erfolg unserer Diplomatie.

Das Problem ist allerdings die Heimatfront. 2002 stimmten 54 Prozent des Volkes für den Uno-Beitritt. Dabei war jedoch das Kantonsmehr äusserst knapp, ein einziger Halbkanton sorgte dafür! Seither bleibt die Opposition stark, insbesondere jene der SVP. Ihr Nationalrat Franz Grüter sagt: «Ordnungspolitisch, aussenpolitisch und neutralitäts­politisch ist die Kandidatur einer der grössten Fehler, welche die Schweiz je begangen hat.»

Die reaktionären Uno-Feinde werden alles tun, um die Schweizer Diplomatie zu sabotieren. Deshalb ist Alarm geboten. Die Schweiz darf nicht zu einem Passivmitglied der Weltregierung degradiert werden. Dafür müssen linke und grüne Parlamentarierinnen und Parlamentarier und die Gewerkschaften sorgen.

work wird 20 Jahre alt! Ich gratuliere der kämpferischen Gewerkschaftszeitung ­herzlich zum runden Geburtstag!

Jean Ziegler ist Soziologe, Vizepräsident des beratenden Aus­schusses des Uno-Menschenrechtsrates und Autor. Im letzten Jahr erschien im Verlag C. Bertelsmann (München) sein neustes Buch: Die Schande Europas. Von Flüchtlingen und Menschenrechten.

1 Kommentare

  1. Peter Bitterli 2. November 2021 um 17:55 Uhr

    Wieso ist jemand ein „reaktionärer Uno-Feind“, wenn er die legitime und schwer zu widerlegende Auffassung vertritt, bei der UNO handle es sich um eine wenig ausbalancierte, strukturell veraltete Schwatzbude, wo Habenichtse und Diktaturen versuchen, Erfolgreiche und Demokratien zu schröpfen, auf die aber zum Glück niemand hört?

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