In den vergangenen Wochen haben bürgerliche Politiker, Arbeitgeber-Funktionäre und ihnen geneigte Journalisten versucht, die finanziellen Verhältnisse der Unia zu skandalisieren. Und damit der Unia zu schaden. work hat sich die Jahresrechnungen angeschaut. Und sagt, was ist.
MÄCHTIGES ZEICHEN: 18 000 Bauleute gingen 2018 in Zürich auf die Strasse, nachdem der Baumeisterverband die Rente 60 frontal angegriffen hatte. Mit Erfolg: die Rente mit 60 gibt’s bis heute. (Foto: Unia)
Versteht sich die Unia als «Konzern»?
Nein, auch wenn das gewisse Journalisten und Arbeitgeber-Funktionäre behaupten. Die Unia ist als Verein und Stiftung organisiert und muss keine Aktionärinnen und Aktionäre befriedigen.
Warum führt die Unia denn eine «Konzernrechnung»?
Weil es das Obligationenrecht (OR Art. 963) so vorschreibt. Eine Konzernrechnung muss erstellt werden, wenn eine «rechnungslegungspflichtige juristische Person» ein oder mehrere Unternehmen kontrolliert.
Ist diese Unia-Konzernrechnung intransparent?
Nein. Die Konzernrechnung und die darin aufgeführten Einzelrechnungen werden gemäss geltenden Rechnungslegungsstandards erstellt und von unabhängigen Revisionsgesellschaften geprüft und testiert.
Wem gehört die Unia eigentlich?
Die Unia ist ein Verein, der wie jeder Verein seinen Mitgliedern gehört.
Das Unia-Vermögen ist das Ergebnis einer 100jährigen, nachhaltigen Finanzpolitik.
Was gehört alles zur Unia?
In der Konzernrechnung sind nebst der Gewerkschaft Unia und der Stiftung Unia auch die Beteiligungen an den beiden Hotels Bern in Bern und Freienhof in Thun, die Liegenschaftsverwaltungsgesellschaft Zivag, die Beteiligungen an der «Typo Offset Aurora SA» sowie an mehreren Immobiliengesellschaften enthalten. In der Gewerkschaft Unia ist das gewerkschaftliche Tagesgeschäft organisiert. Die Stiftung Unia finanziert aus ihren Vermögenserträgen Aus- und Weiterbildungsleistungen, Rechtsschutzleistungen und Notlagenunterstützungen von rund 6,7 Millionen Franken pro Jahr. Sie unterstützt zudem den gemeinnützigen Wohnungsbau mit Darlehen und Beteiligungen. Gelder der Stiftung Unia können einzig für jene Zwecke eingesetzt werden, die in den Statuten festgelegt sind. Eine Finanzierung der Gewerkschaft Unia oder ihrer Mitglieder ausserhalb dieser Zwecke ist ausgeschlossen. Die Stiftung Unia unterliegt der Stiftungsaufsicht des Innendepartements EDI.
Wie reich ist die Unia?
Ende 2020 betrug das gesamte Eigenkapital des «Unia-Konzerns» 457 Millionen Franken. Konkret: einem Umlaufvermögen von 62 Millionen und einem Anlagevermögen von 773 Millionen standen Schulden von 378 Millionen gegenüber.
Woher kommt das Vermögen der Unia?
Das Vermögen der Unia ist das Ergebnis einer über 100jährigen, nachhaltigen Finanzpolitik. Bereits die Vorgängergewerkschaften der Unia gingen umsichtig mit den Beiträgen der Mitglieder um und konnten darum schon früh Fonds für Unterstützungsleistungen und später für Streiks anlegen. Zentral ist auch: Gewerkschaften mussten und müssen keine Aktionärinnen und Aktionäre befriedigen. Die Erträge aus Unia-Liegenschaften und Finanzanlagen dienen dazu, Leistungen an die Mitglieder zu finanzieren.
Woher kommen die Einnahmen der Unia?
Die Mitgliederbeiträge betragen 58,1 Millionen Franken, die Entschädigung für die Führung der Arbeitslosenkasse 50,2 Millionen (siehe Seite 12), jene für die Führung von Sekretariaten von paritätischen Kommissionen 29,2 Millionen. Und die Erträge aus dem Liegenschaften- und Finanzvermögen tragen 21,3 Millionen Franken bei (alle Zahlen 2020).
Sind die Unia-Beiträge zu hoch?
Die Mitgliederbeiträge sind nach Lohn gestaffelt. Der durchschnittliche Monatsbeitrag für die über 180’000 Mitglieder liegt bei 30 Franken. Die Unia-Mitgliederbeiträge gibt’s hier: rebrand.ly/mitgliederbeitraege. Unia-Mitglieder, die unter einem GAV arbeiten, zahlen zusätzlich einen Vollzugskostenbeitrag. Da sie damit doppelt für den GAV-Vollzug bezahlen würden, wird ihnen von der jeweiligen paritätischen Berufskommission ein Teil davon zurückerstattet. Die Auszahlung läuft über die Unia.
Unia-Mitglieder profitieren von kostenlosem Rechtsschutz bei Problemen am Arbeitsplatz; sie erhalten im Fall der Fälle Streikgeld; sie können sich am Bildungsinstitut Movendo kostenlos weiterbilden, erhalten eine sprachregionale Zeitung wie work, und sie profitieren von zahlreichen Vergünstigungen (zum Beispiel Ferienangebote und Reka-Checks).
Verdient die Unia an den Arbeitslosen?
Die Unia führt die grösste Arbeitslosenkasse der Schweiz. Sie ist auch die einzige, die in der ganzen Schweiz vertreten ist. Für ihren Aufwand wird sie entschädigt – so wie alle anderen privaten und öffentlichen Arbeitslosenkassen auch. Die Führung der Arbeitslosenkasse ist für die Unia kein «Geschäft» sondern eine Dienstleistung für Mitglieder und Nichtmitglieder (siehe Artikel Seite 12). Die Unia-Kasse erreicht in der letzten Bewertung überdurchschnittliche Noten und hat während der Corona-Pandemie das System der Arbeitslosenkassen vor dem Kollaps bewahrt.
Verdient die Unia an den Gesamtarbeitsverträgen?
Nein. Für die Kontrolle und den Vollzug von GAV sind paritätische Kommissionen zuständig. Für solche erbringt die Unia Verwaltungsleistungen. Die Entschädigungen dafür sind klar definiert und decken die anfallenden Kosten. Auch das ist kein «Geschäft» für die Unia, sondern eine Dienstleistung für Mitglieder und Nichtmitglieder. Übrigens: Über alle GAV hinweg werden rund ein Drittel der Sekretariate der paritätischen Kommissionen bei den Arbeitgebern, rund ein Drittel bei den Gewerkschaften und rund ein Drittel bei externen Treuhandunternehmungen geführt.
Weil die Schweiz keinen gesetzlichen Mindestlohn und generell ein schwaches Arbeitsgesetz hat, sind Gesamtarbeitsverträge (GAV) so wichtig. Sie sorgen für Mindestlöhne und ein Mindestmass an Schutz für 2 Millionen Arbeitnehmende – auch für Nichtgewerkschaftsmitglieder. Doch diese Verträge wirken nur, wenn ihre Umsetzung in der Praxis auch kontrolliert wird. Gleiches gilt für die flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit mit der EU.
Ist die Unia ein Immobilien-Hai?
Über die Jahrzehnte und insbesondere im Aufschwung der Nachkriegsphase haben die Vorgängergewerkschaften der Unia das angesparte Vermögen zu einem grossen Teil in Liegenschaften angelegt. Sie haben einerseits Gebäude für den Betrieb der Sekretariate erworben oder gebaut und andererseits in Wohnliegenschaften in der ganzen Schweiz investiert. Heute besitzt die Unia rund 150 Liegenschaften mit 2800 Wohnungen.
Streiks gehen für Gewerkschaften schnell ins Geld.
Wofür braucht die Unia das Geld?
Die Unia ist die grösste Gewerkschaft des Landes. Getragen von ihren Mitgliedern aus Industrie-, Bau- und vielen Dienstleistungsberufen. Um deren Sorgen und Anliegen kümmern sich 1200 Mitarbeitende. Sie beraten, unterstützen und informieren sie bei allen Fragen, die mit der Arbeitswelt zu tun haben – in sieben Sprachen. Die Gewerkschaft verteidigt ihre Mitglieder bei individuellen Konflikten am Arbeitsplatz oder im Sozialversicherungsbereich. Allein hier erreichen Unia-Fachleute für Unia-Mitglieder jährlich über 10 Millionen Franken Abgeltungen. Und die Unia hilft ihren Mitgliedern dabei, sich kollektiv zu organisieren und sich gemeinsam gegen Angriffe auf ihre Arbeitsbedingungen zu wehren: in einzelnen Betrieben, auf Ebene der Branchen und der Politik. Notfalls auch mit Streiks.
Wie teuer sind Arbeitskämpfe?
Streiks und andere Kampfmassnahmen gehen für Gewerkschaften schnell ins Geld. Denn nur wenn den Arbeiterinnen und Arbeitern ein Lohnausfall bezahlt werden kann, können sich diese für ihre Interessen wehren.
Ein paar Beispiele: Der einmonatige Streik bei Swissmetal in Reconvilier 2006 kostete die Unia mehr als 1 Million Franken an direkten Arbeitskampfkosten. Nach den Streiks in Reconvilier verklagte Swissmetal-Besitzer Laxey – ein «Heuschreckenfonds» – die Unia auf 10 Millionen Schadenersatz. Letztlich zum Glück ohne Erfolg – aber Millionenklagen sind ein beliebtes Drohmittel der Arbeitgeber. Eine finanziell schwache Gewerkschaft ist deshalb weniger kämpferisch. Ebenfalls eine Million Franken direkte Kosten fielen 2008 für die Unia beim Streik in den Tessiner SBB-Werkstätten an. Zwei Wochen Arbeitskampf im kampferprobten Bauhauptgewerbe würden die Unia gegen 50 Millionen Franken kosten. Will die Gewerkschaft glaubhaft mit einem weiteren Streik drohen können, muss nochmals ein Betrag in dieser Grössenordnung zur Verfügung stehen. Wie wichtig es ist, dass eine Gewerkschaft über entsprechende finanzielle Mittel verfügt, zeigt ein Beispiel aus der Baubranche (siehe Box).
Streikkasse: Wie sich die Baumeister einst täuschten
Die Finanzkraft einer Gewerkschaft wird von der Kapitalseite sehr genau beobachtet. Schätzen Arbeitgeber die Gewerkschaften als schwach ein, versuchen sie sofort, die Arbeitsbedingungen zu verschlechtern. So auch die Baumeister 2006. Als die Unia nach der Fusion ein Sparprogramm aufsetzen musste, um das Budget ausgeglichen zu halten, witterten die Baubosse ihre Chance. Sie meinten, in der Streikkasse der Unia herrsche Ebbe – und versuchten prompt, einen lang gehegten Wunsch umzusetzten: Ende 2006 forderte der Baumeisterverband plötzlich einen ausgehöhlten «Landesmantelvertrag (LMV) light» und provozierte auf Anfang 2007 einen vertragslosen Zustand.
ÜBERZEUGEND. Der ehemalige Unia-Co-Präsident Andreas Rieger erinnert sich: «Ich musste den damaligen SBV-Präsidenten Werner Messmer überzeugen, dass wir einen mehrmonatigen vertragslosen Zustand und grössere Streikaktionen finanziell problemlos überstehen würden.» Zu ersten Kampfmassnahmen der Bauleute kam es Anfang 2007. Diese zeigten die Aktionsbereitschaft der Gewerkschafter eindrücklich. So eindrücklich, dass die Baumeister nach einigen Monaten den LMV ohne Abstriche wieder unterzeichneten.