«Pandora-Papers»:
Neue Einblicke in das Schatten-Finanzsystem

Journalistinnen und Journalisten enthüllen die Konten von 35 Staatschefs, 300 Politikerinnen und 130 Milliardären. Die Reichen und Mächtigen handeln mit hoher krimineller Energie. ­Schweizer Banker, Anwälte und Treuhänder sind gut mit dabei.

STEUERPARADIESE: Konzerne und Reiche entziehen ihren Staaten jedes Jahr mehrere Tausend Milliarden Dollar. Genug Geld, um auf einen Schlag alle sozialen Probleme aus der Welt zu schaffen. Oder den ökologischen Umbau anzustossen. (Foto: Keystone)

Logisch, es begann mit einer Schweizer Grossbank: UBS-Mann Bradley Birkenfeld enthüllte 2009 die Machenschaften seiner Bank in den USA (und anderswo). Auf den UBS-Skandal folgten rasch die Offshore-Datenlecks (englisch: Leaks), die China-Cables, die Football-Leaks, die Luxemburg-Leaks, die Swiss-Leaks (um die Bank HSBC), Money Island, die Malta-Files, die Mauritius-Leaks. 2017 kamen die Panama-Papers ans Licht, dann das Luanda-Leak, die Dubai-Papers, die FinCEN-Files und Open-Lux.

Eine Enthüllung jagt die nächste. Die Datenlecks zeigen, wie Superreiche, Kriminelle und Konzerne ihr Geld waschen, verstecken, den Steuerämtern entziehen oder für blutige Geschäfte nutzen. In sehr vielen Fällen sind Schweizer Banken, Anwälte, Treuhänderinnen und Berater zuvorderst mit ­dabei (siehe «Willkommen im Paradies für Wirtschaftskriminelle!», Seite 12). Helvetische Geheimnishändler haben das Schatten-Welt­finanzsystem wesentlich mitgebaut. Ohne diese «Finanzintermediäre» ginge nichts.

Nun geben uns die Pandora-Papers frische Einblicke. 11,9 Millionen Dokumente aus 14 Anwaltsfirmen wurden dem Internationalen Konsortium Investigativer Journalisten (ICIJ) zugespielt (siehe Box). Ein regelrechter Daten-Tsunami. Wir können 35 Staatschefs, 300 weitere Politikerinnen und Politiker und 150 Milliardäre bei ihrem Treiben in Steuerparadiesen und juristischen «Freizonen» beobachten. Sie agieren in bester Gesellschaft mit Mafiosi, Konzernen, religiösen Sekten, Glitzerstars, Drogenbaronen, königlichen Familien, rechtsextremen Terroristen und weiteren Schurken.

Was die Papers aufdecken, ist nicht die kriminelle Aus­nahme …

BLAIR, PIÑERO & CO.

Da ist zum Beispiel Camorra-Boss Raffaele Amato. Ihm werden Morde im Dutzend vorgeworfen. Über eine Scheinfirma kaufte er Ländereien in Spanien. Dominique Strauss-Kahn ist auch dabei, der frühere («sozialistische») Wirtschaftsminister Frankreichs und Ex-Generaldirektor des Internationalen Währungsfonds (IWF). Nachdem er 2011 über die Vergewaltigungsvorwürfe einer New Yorker Zimmerfrau gestürzt war, verlegte er sich auf die Beratung von Diktatoren und Multis (etwa des russischen Ölkonzerns Rosneft). Das tat er zuerst aus einer marokkanischen Steueroase, doch als dort die Steuerbefreiung auslief, zügelte er seine Firma ins Mikro-Emirat Ras al-Khaïma bei Dubai (null Steuern, 100 Prozent Diskretion). Zu seiner Kundschaft zählt unter anderem ein Schweizer Ölhändler. In Ras al-Khaïma steht mitten in der Wüste ein einzelnes Gebäude, das 30 000 steuerbefreite Scheinfirmen beherbergt.

Klar, kann Tony Blair in der Büchse der Pandora* nicht fehlen: Der frühere britische Premierminister, der nun für exorbitante Honorare Insider-Rat erteilt, wollte beim Kauf einer Londoner Luxuswohnung Steuern sparen. Also kaufte er nicht die Wohnung, sondern die Briefkastenfirma eines Golf-Scheichs in einer karibischen «Offshore»-Zone, der die Wohnung offiziell gehörte. Weiter ist da eine mexikanische katholische Kongregation, die noch schnell ein paar Hundert Millionen Dollar ausschleuste, bevor der Vatikan sie wegen sexueller Skandale an die Kandare nahm.

Und Tschechiens Regierungschef Andrej Babiš sehen wir, wie er 22 Millionen Dollar unklarer Herkunft in Scheinfirmen parkierte. Deswegen hat er gerade die Wahlen verloren. Jordaniens König Abdullah II. taucht in den Papieren mit mehr als 30 Zombie-Firmen auf. Gleich ein ganzes Finanzimperium schuf sich ein italienischer Rechtsterrorist – schweizerische und panamaische Treuhänder zimmerten es für ihn zusammen.

Und die Rechtsbeugungen russischer Oligarchen aus dem Umfeld Wladimir Putins würden Seiten füllen. Zusammen mit jenen des libanesischen Regierungschefs Najib Mikati, des ecuadorianischen Präsidenten Gui­llermo Lasso, des ukrainischen Präsidenten Volodimir Zelenski, des brasilianischen Wirtschaftsministers Paulo Guedes, des chilenischen Präsidenten Sebastián Piñera, des gabunischen Präsidenten Ali Bongo, des kongolesischen Staatschefs Denis Sassou-Nguesso und diverser anderer Figuren.

Kein Wunder, reagierten die Bürgerinnen und Bürger in einigen Ländern mit Strassenprotesten. In Russland wurden die aufdeckenden Journalisten als «Agenten des Auslands» verfolgt.

SCHWARZE KASSEN

Auf den zweiten Blick fallen in den Pandora-Papers einige weisse Flecken auf. So ist kein einziger US-Politiker erwähnt. Auch keine aktuell amtierende westeuropäische Politikerin. Die führenden Weltkonzerne und Banken fehlen. Anzunehmen, sie seien «sauber», wäre absurd. Für das Manko gibt es mehrere mögliche Erklärungen. Die Daten stammen zwar aus 14 Anwaltskanzleien, übermittelt hat sie aber nur eine einzige Quelle. Vielleicht war die Quelle auf einem Auge blind. Wahrscheinlicher ist: Die 14 Kanzleien sind, wie das Recherchekonsortium ICIJ festhält, nur «ein kleiner Ausschnitt» aus dem Gesamtbild – und sie bearbeiten jeweils eine spezifische Kundschaft.

2020 lagerten in den obskuren Offshore-Finanzplätzen nach Schätzung der OECD 11 300 Milliarden Dollar. Ein Teil ­davon ist pure Geldwäscherei aus dem Drogen- und Waffenhandel, aus Korruption und anderen kriminellen Aktivititäten (etwa Entführungen, Menschenhandel und dem Handel mit Raubantiquitäten). Anonyme Konten schützen vor Polizei, Gesetz und Richter.

Ein weiterer Teil dient als schwarze Kassen, die etwa den Rohstoffhandel, die Bauwirtschaft und die Vergabe öffentlicher Aufträge schmieren oder Söldnertruppen für Bürgerkriege finanzieren.

Der grösste Teil aber ist der Steuerhinterziehung, der Steueroptimierung und dem Steuerbetrug geschuldet. So entziehen Konzerne und Reiche ihren Staaten jedes Jahr mehrere Tausend Milliarden Dollar. Genug, um auf einen Schlag alle sozialen Probleme aus der Welt zu schaffen. Oder den ökologischen Umbau anzustossen.

Bizarr ist, dass viele dieser Operationen und Konstrukte durchaus nicht illegal sind. Oder zumindest in einer Grauzone siedeln. Legal, illegal, scheissegal: Kein Genfer Politiker, der sonst die Bettler auf den Strassen jagen lässt, hat sich daran gestört, dass in einem einzigen Bürohaus seiner Stadt 38’000 leere Firmenhülsen in Offshore-Plätzen wie den Virgin Islands oder Panama gegründet wurden, mit Hilfe von 1300 schweizerischen Strohpersonen (das enthüllten schon die Panama-Papers vor sechs Jahren). Egal, wie furchterregend die menschlichen und ökologischen Schäden sind, die dieses globale Schattensystem anrichtet.

In Genf selbst sind, wie die Organisation Public Eye ermittelte, 13’600 Briefkastenfirmen domiziliert. In manchen Tessiner oder Zuger Käffern gibt es zehnmal mehr Firmen als Einwohnerinnen und Einwohner. Das fällt nicht auf. Steueroptimierung, sagen sogar manche Ökonominnen und Politiker, ist Kapitalistenpflicht. Und der Steuerwettbewerb eine politische Tugend.

… sondern Ergebnis und Normalität des neo­liberalen Kapitalismus.

DIE EMPÖRUNG LEGT SICH SCHNELL

Spektakuläre Enthüllungen wie die Pandora-Papers könnten einen elementaren Fakt verschleiern: Was sie aufdecken, ist nicht die – kriminelle – Ausnahme.

Son­­dern das Ergebnis und die Normalität des neoliberalen Kapitalismus. Seit das Kapital Ende der 1970er Jahre den ungeschriebenen Gesellschaftsvertrag mit der Arbeit liquidiert hat, sind die Gewinne und die Vermögens­unterschiede extrem explodiert. Mit ihnen ist dieses Schattensystem zu gigantischer Grösse an­gewachsen. Die Reichen und Mächtigen haben sich von ihren Gesellschaften losgesagt. Nicht alle wollen sich ins All absetzen wie Tesla-Boss Elon Musk mit ­seinem Weltraumprogramm Space X. Vielen reichen ein paar Briefkästen in Bananenrepubliken. Dafür waren die Schweizer Banker und Treuhänderinnen bestens gerüstet – fremdem Kapital zu Diensten zu sein, ist seit Jahrhunderten ihr Kerngeschäft.

Dennoch tut diese lange Reihe von Enthüllungen durchaus ihre Wirkung. Denn dieses Schattensystem, auch seine legalen Teile, sind aus Sicht von Demokratie und Gerechtigkeit illegitim. Unter wachsendem Druck der öffentlichen Meinung ist seither manches Bankgeheimnis eingeschränkt, und für viele Fälle ist der automatische In­formationsaustausch eingeführt worden. Etliche Steuerparadiese haben ihre Gesetze verschärft, oft auch im Rahmen des Kampfes gegen Drogenhandel oder Terrorismus. Derzeit wird über eine internationale Mindestgewinnsteuer für Konzerne diskutiert (siehe auch Artikel «Im Kanton Zug zittern sie schon» Seite 8). Pandora zeige gerade die Fortschritte im Kampf gegen die Steuerhinterziehung, kommentierte die Wirtschaftszeitung ­«Financial Times» reichlich optimistisch.

FINSTERHÄNDLER

Etwas heuchlerisch auch. Zwar führen die EU, die USA und die OECD «schwarze Listen» der Steuerfluchthäfen (die Schweiz war auch schon auf einer solchen Liste). Doch die Politik verhält sich ambivalent. Grossbritannien unterhält auf den Kanal­inseln und in der Karibik selbst Steuerparadiese. Ebenso die USA, die zum Beispiel in Süddakota eine Gesetzgebung tolerieren, die völlig abgeschottete Trusts eingerichtet hat. Holland ist ein Steuerhafen für Konzerne. Luxemburg eigentlich nur ein gigantischer Safe. Und so weiter.

Der Wahrheit jedoch näher kommt: Nach jeder Enthüllung legen sich Aufregung und Empörung rasch. Dann wird das Schattensystem leicht umgebaut und mit viel krimineller Energie verfeinert. Dies belegt eine vergleichende Recherche mit den ­Panama-Papers: Das ICIJ hat ermittelt, dass die meisten Kanzleien weiterarbeiten, manchmal hinter einem neuen Firmenschild. Und neue Eldorados treten an die Stelle der Inselkonfetti: Singapur, Zypern, Hongkong, Dubai. Vor allem Dubai.

Und in der Schweiz? Hier regieren die Finsternishändler. Die Bürgerlichen haben gerade die Regulierung der Treuhänder verhindert.

* Die Büchse der Pandora enthielt, wie die griechische Mythologie überliefert, alle der Menschheit bis dahin unbekannten Übel wie Arbeit, Krankheit und Tod. Sie entwichen in die Welt, als Pandora die Büchse öffnete.

Pandora-Papers: Die Monster­recherche

Fergus Shiel, der leitende Redaktor beim Konsortium Investigativer Journalisten (ICIJ), einer internationalen Non-Profit-Organisation in Washington, erzählt: «Als die 2,94 Tera­byte geheimer Daten bei uns eintrafen, wussten wir, dass wir den Kampf gegen ein Monster begannen.» Ein Datenmonster. Die ICIJ-Leute hatten schon die Panama-Papers und die Paradise-Papers recherchiert. Doch Pandora hatte eine andere Dimension: Unter den fast 12 Millionen Dokumenten, Datensätzen, Bildern, E-Mails waren zum Beispiel PDF mit jeweils nochmals 10’000 Seiten.

HISTORISCH. Über ein Jahr lang sortierten, prüften und recherchierten 600 Journalisten in 117 Ländern und 150 Partnermedien jedes Detail. Unter Covid-Bedingungen ­gingen sie aufs Terrain. Trotz verschlüsselter Kommunikation hatten sie mit feindlichen Anwälten und Repression zu ringen. Russische Journalistinnen mussten sich im Ausland in Sicherheit bringen. Alle geprüften Informationen flossen in Datenbanken. Mit eigenen, speziell entwickelten ICIJ-Programmen und künstlicher Intelligenz wurden die Daten mit anderen Datenbanken abgeglichen. Es ist das bisher grösste journalistische Projekt der Geschichte. ­Heute hat es erst einen Teil seiner Erkenntnisse preisgegeben. Ein Besuch der Website in Englisch lohnt sich: icij.org.

1 Kommentare

  1. Peter Bitterli 18. November 2021 um 20:19 Uhr

    Ist jetzt eigentlich schon irgendetwas juristisch Relevantes herausgekommen, bei dieser „Monsterrecherche“?
    …………..
    Ach so, ja dann, also blosser Sozialneid.

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