Der nächste feministische Streik kommt bestimmt, das haben die 200 Delegierten des Gewerkschaftsbundes an ihrem Kongress beschlossen. Und: Ohne Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit geht’s nicht mehr.
NEUER STREIK, ALTER KAMPF: Der Frauen*kongress beschliesst einen neuen feministischen Streik für 2023. (Foto: SGB)
Bereits der Auftakt ging ans Herz. Und an die Nieren. Erstmals in der Geschichte präsentierte die Historikerin und Gewerkschafterin Dore Heim nämlich die Geschichte der Frauen im Schweizerischen Gewerkschaftsbund. Es ist die Geschichte von couragierten Vorkämpferinnen und einer bis heute fest im Sattel sitzenden Männermacht. Ok, auch die Gewerkschafterinnen haben in den letzten Jahrzehnten viel erreicht. Auch die Gewerkschaften sind weiblicher geworden: Der Frauenanteil der SGB-Verbände ist seit dem Jahr 2000 von 21 auf 31 Prozent gestiegen. In der grössten Gewerkschaft, der Unia, beträgt er derzeit 26,3 Prozent. Und erstmals steht mit Vania Alleva eine vollamtliche Präsidentin an einer Gewerkschaftsspitze.
Dennoch zeigt Historikerin Heims Rückblick, den work dokumentiert, Unglaubliches. Stellen Sie sich das mal vor: Zwischen 1930 und 1953 ergriff keine einzige Frau an einem SGB-Kongress je das Wort. In dieser Phase, in der auch in den Gewerkschaften ein reaktionäres Frauen- und Familienbild auf dem Vormarsch ist, verstummen die Gewerkschafterinnen. In der Männer-Metallgewerkschaft Smuv meldet sich die erste Frau überhaupt sogar erst am Kongress von 1970 zu Wort.
Umso mehr erstaunt, dass die Idee für den ersten Frauenstreik 1991 aus eben diesem Smuv kommt, nämlich von den Uhrenarbeiterinnen im Valée de Joux. Es gelang ihnen schliesslich, Smuv-Frau Christiane Brunner für ihre «verrückte Idee» zu gewinnen. Sie setzte ihn mit allen anderen engagierten Gewerkschafterinnen um. Gegen den Willen der SGB-Spitze.
Doch dann, am 14. Juni erbebte die Schweiz: Wenn Frau will, steht alles still! Hunderttausende gingen auf die Strassen. Eine neue Form von Streik war geboren. Und endlich ward das Blatt der Frauen in den Gewerkschaften gewendet.
Kein Wunder, ist der 14. SGB-Frauenkongress begeistert von Heims historischem Rückblick. Die Erzählung der eigenen Geschichte war längst fällig. Und plötzlich stehen die Kongressdelegierten alle auf und gedenken der Vorkämpferinnen. Ein höchst emotionaler Moment. Fast so emotional wie der Auftritt der französischen CGT-Gewerkschafterin Tiziri Kandi. Sie organisierte kürzlich den erfolgreichen Streik der Reinigerinnen im Ibis-Hotel. work hat mit der Power-Frau gesprochen.
Weg von einer Gewerkschaftsbewegung, die sich nur auf Erwerbsarbeit konzentriert!
AUFBRUCH!
Und der dritte Streich folgt sogleich: Der Frauenkongress hat auch einem neuen feministischen Streik für 2023 zugestimmt. Es war nicht umstritten. Denn die konkreten Massnahmen für die Gleichstellung seien trotz dem zweiten Frauenstreik von 2019 «dürftig» geblieben. Ein dritter feministischer Streik sei auch deshalb wichtig, weil dieser zweite Streik «uns den Weg gewiesen hat: hin zu einer feministischen Gewerkschaftsbewegung und weg von einer Gewerkschaftsbewegung, die sich nur auf Erwerbsarbeit konzentriert». So steht es im Kongressheft.
Wegweisend war 2019 zum Beispiel die Mobilisierung: sie sei «von Anfang an auf eine andere Art erfolgt, abseits der ausgetretenen Pfade» und in der «speziellen Mischung aus gewerkschaftlich organisierten und anderen Frauen, LGBTIQ+-Menschen, Migrantinnen und Migranten usw.». Wegweisend war auch die thematische Öffnung: hin zur Care-Arbeit, hin zur geschlechtsspezifischen Gewalt usw.
Zwar war das Aufeinanderprallen von verschiedensten Vorstellungen manchmal anspruchsvoll: «Hierarchische Gewerkschaftsstrukturen stiessen auf Basisbewegungen.» Doch genau so müsse die feministische Gewerkschaftsarbeit der Zukunft aussehen: breit, offen und zu neuen Ufern aufbrechend. Was das konkret heisst, haben die Kongressteilnehmerinnen in einer Charta festgehalten und verabschiedet (siehe Box unten).
FRAUENSTREIK 3.0: Kämpferische Gewerkschafterinnen auf dem Gurten. (Foto: SGB)
ARBEITSZEITVERKÜRZUNG JETZT!
Chrampfen bis ins Grab? Nein danke! Auch da wollen die Kongressteilnehmerinnen ansetzen und finden: Es führt kein Weg an einer Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit vorbei. Für Unia-Chefin Vania Alleva ist es der einzige Weg, wie endlich eine gerechtere Verteilung von Erwerbs- und Care-Arbeit herbeigeführt werden kann. Die Umsetzung werde zwar «sehr schwierig», so Alleva, aber: «Eine Arbeitszeitverkürzung muss einfach kommen!»
So votierte der Kongress für eine «massive Arbeitszeitverkürzung». Im Wortlaut: «Die Arbeitszeit soll auf 35 Stunden, 4 Tage in der Woche oder auf ein anderes Modell der massiven Arbeitszeitverkürzung reduziert werden. Ohne Lohneinbussen oder Intensivierung der Aufgaben und bei vollem Lohnausgleich.» Die Gewerkschafterinnen* nehmen damit eine alte Gewerkschaftsforderung wieder auf, stellen aber mehrere Modelle zur Diskussion. Vier Mal seit 1958 bodigten die Schweizerinnen und Schweizer ein Begehren zur Arbeitszeitverkürzung an der Urne. Zuletzt 2002 die SGB-Initiative für die gesetzliche Verankerung der 36-Stunden-Woche. Und zwar mit 74,7 Nein-Stimmen.
Doch das Anliegen bleibt match-entscheidend. Denn die Frauen leisten bis heute drei Viertel der Haus-, Erziehungs- und Pflegearbeit. Gratis! Daran hat sich in den letzten Jahren nur wenig geändert: Immer noch arbeiten fast 90 Prozent aller Männer Vollzeit.
So geht das nicht weiter, entschied der 14. SGB-Frauenkongress und verabschiedete gleich auch noch eine Resolution, die eine Senkung des Rentenalters für alle fordert. Um dem Rentenangriff der rechten Mehrheit im Bundeshaus offensiv entgegenzutreten. Diese will nicht nur das AHV-Rentenalter der Frauen auf 65 erhöhen, was einer Rentenkürzung von 5,6 Prozent gleichkommt. Dies bei wieder zunehmender Lohnungleichheit. Sie will überdies auch noch die Pensionskassenrenten um 12 Prozent senken. Ein richtiges Rentenmassaker, wie work hier vorrechnet: rebrand.ly/rentenklau. «Immer mehr chrampfen, um immer weniger zu verdienen?» Auch dazu sagten die Delegierten herzhaft «Nein danke!»
Alle Resolutionen des Frauenkongresses im Wortlaut: rebrand.ly/sgb-frauenkongress.
Feministische Gewerkschaften: Die neue Charta
Der SGB-Frauenkongress hat eine Charta «für eine feministische Gewerkschaftsarbeit» verabschiedet. work dokumentiert sie auszugsweise:
- Bezahlte und unbezahlte Arbeit: Die Gewerkschaften setzen sich für eine gleiche Verteilung dieser Arbeiten zwischen Frauen und Männern ein. Sowie für die Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und unbezahltem Engagement.
- Betreuungsarbeit: Sie liegt in gesamtgesellschaftlicher Verantwortung. Die Gewerkschaften setzen
sich dafür ein, dass diese als Service public organisiert und durch die öffentliche Hand finanziert wird.
- Arbeitszeitverkürzung bei gleichem Lohn: Die Gewerkschaften engagieren sich dafür und kämpfen gegen alle politischen Versuche, die Erwerbsarbeitszeit zu verlängern.
- Lohngleichheit: Die Gewerkschaften engagieren sich dafür und für Mindestlöhne, höhere Löhne und eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen, insbesondere in Berufen, die mehrheitlich von Frauen ausgeübt werden.
- Sexismus und Rassismus: Die Gewerkschaften beziehen die Themen Sexismus, Rassismus, Diskriminierung und Gewalt in ihrer Arbeit ein und bekämpfen sie in allen Formen. Sie fordern die Ratifizierung der ILO- Konvention 190. $GAV-Verhandlungen: Die Gewerkschaften beziehen die Gleichstellung konsequent in ihren Verhandlungen ein: Lohngleichheit, Kündigungsschutz bei Mutterschaft, Vorgehen bei sexueller Belästigung und sexualisierter Gewalt usw. müssen klar geregelt sein.
- Senkung des Rentenalters: Die Gewerkschaften lehnen systematisch jede Erhöhung des Rentenalters ab und setzen sich für eine Senkung des Rentenalters für alle ein.
Die ungekürzte Version finden Sie hier: rebrand.ly/frauen-charta.
Klar doch, ihr verzweifelten Linksaussen streikt doch 364 Tage – da solltet ihr an diesem einen Tag doch nicht fehlen(!?).