Stur wie eine Eselin
Die Wahrheit ist ja bekanntlich ein stark umworbenes, kostbares Gut. Und sieht je nach Blickwinkel sehr unterschiedlich aus.
Allein dieses Jahr garnieren Ems-Chefin und Blocher-Tochter Magdalena Martullo und ihre Schwester Miriam Blocher sagenhafte 250 Millionen Franken. Die beiden sind die Mehrheitsaktionärinnen des Bündner Chemiekonzerns. Letztes Jahr strich Martullo über 106 Millionen Franken aus Dividenden ein. Damit es nicht so auffällt, lässt sie sich als CEO einen vergleichsweise bescheidenen Lohn von 1,3 Millionen Franken pro Jahr auszahlen. Und kassiert dafür via Anteile umso kräftiger ab. Was auch steuerlich viel interessanter ist, weil Einkommen aus Dividenden stark steuerbegünstigt sind. Ganz im Gegensatz zum Einkommen aus Arbeit: Wir müssen unseren Lohn zu 100 Prozent versteuern.
1 PROZENT. Die Blochers gehören zu den Superreichen. Die «Bilanz» schätzt Martullo-Blochers Vermögen auf rund 4 Milliarden. Seit 1989 haben die reichsten 300 in der Schweiz ihre Vermögen von 82 auf 589 Milliarden Franken versiebenfacht. Heute besitzt 1 Prozent mehr Nettovermögen als 90 Prozent der Bevölkerung. Das sagen nicht die Linken, das sagt die Credit Suisse. Umgekehrt sind in der Schweiz 145 000 Männer und Frauen trotz Erwerbstätigkeit arm. Tendenz steigend. Seit Beginn der Finanzkrise 2007 hat sich die Umverteilung von unten nach oben rabiat beschleunigt. Ungleichheit explodiert.
99 PROZENT. Rund um die Paris Scool of Economics hat eine Gruppe Forscher um den Ökonomen Thomas Piketty die weltweit grösste Datenbank über Ungleichheit angelegt. Und Pikettys Zahlenberge belegen: Kapitaleinkommen sind heute der Motor der explodierenden Ungleichheit. Nachzulesen im Artikel von Oliver Fahrni (zum Bericht). Kapital und Arbeit, dieses Spannungsverhältnis hat schon Marx umgetrieben: Der Kapitalist kauft die Arbeitskraft vom Arbeiter oder der Arbeiterin als Ware – und gibt ihnen dafür Geld. Allerdings gibt ihnen der Kapitalist weniger Geld, als die Produkte ihrer Arbeit wirklich wert sind. Der Kapitalist schöpft diesen Mehrwert ab und erwirtschaftet so Gewinn. Davon zahlt er sich und den Aktionärinnen Dividenden. So wie die Blochers. Abermillionen, die die Arbeitenden zwar geschaffen haben, von denen sie aber immer weniger abbekommen. Höchste Zeit also für ein bisschen Rückverteilung, finden nun die Juso. Mit ihrer 99%-Initiative wollen sie die Kapitaleinkommen stärker besteuern und die Arbeitseinkommen entlasten. Eine gute Idee.
In eigener Sache
Am 1. Oktober ist work-Mitarbeiter Thomas Adank viel zu früh gestorben. Seit 2014 schrieb er die Kolumne «workwort» auf Seite 15. Im Gedenken an ihn wiederholen wir unten das workwort «Zeit», das er im Juli 2016 verfasste, als er bereits von seiner schweren Krankheit wusste.
Die Redaktion
Wir sind sehr traurig. Seine Texte werden work fehlen. Und er fehlt uns!
Zeit
Hast du Zeit? Eine ganz normale Frage, oder? Ja, ich hab Zeit. Eine ganz normale Antwort. Doch was soll ich eigentlich haben oder nicht?
«Ein Kilo Zeit, bitte» – ergibt das Sinn? Weshalb nicht? Weil Zeit eben nicht ein Gewicht ist, du Dummerchen. Zeit ist allerdings etwas, das man verlieren kann: «Wo hab ich jetzt nur die Zeit hingetan?» ist die falsche Frage.
Zeit kann man aber auch gewinnen: Ich jedenfalls vergeude keine Zeit mit Höflichkeiten.
Aber Achtung: Ich habe zeit meines Lebens nie darauf geachtet, Zeit zu sparen, denn das geht ja gar nicht. Oder wo hätte ich denn meine gesparten Zeiten? Meine nicht verbrauchten Momente? Meine schönste Zeit? Vielleicht in den Schuhen? Oder hinter den Ohren? Oder vielleicht doch da, wo sie hingehören: in den kleinen Ort, der Zeit zu dem macht, was sie ist – ein Geheimnis.
THOMAS ADANK