work-Kommentar:FDP-Burkart strahlt
Seit dem 2. Oktober 2021 hat die FDP einen 4 A-Präsidenten. Thierry Burkart steht für Aargau, Auspuff, AKW und Abzocker.
Eigentlich ist Atomstrom eine tote Technik. Doch die EU-Kommission, Frankreich und auch der Schweizer Freisinn glauben immer noch daran. Ein Irrsinn!
Zumindest darüber schien es einen breiten Konsens zu geben nach Tschernobyl (1986) und erst recht nach Fukushima (2011): AKW sind zu gefährlich, viel zu teuer und extrem anfällig bei Terror, Erdbeben oder Krieg. Und auch 70 Jahre nach dem ersten Meiler haben die Atomstromer immer noch keine glaubhafte Lösung für die giftigen und strahlenden Abfälle, die man für Tausende von Generationen überwachen müsste. Schweden baut gerade ein Mülllager für 100’000 Jahre. Absurd!
Viele Länder, darunter Deutschland und die Schweiz, haben beschlossen, aus der Atomenergie auszusteigen. In den nächsten Jahren sollten die meisten der weltweit 430 Kraftwerke vom Netz. Schon heute produzieren sie weniger als 10 Prozent des globalen Stroms.
Doch dann geschah an Silvester 2021 das: Kurz vor Mitternacht verschickte die EU-Kommission ein explosives Dokument. Es setzte Atomstrom und fossiles Gas auf die Liste grüner Energien.
Techniken, die auf dieser Liste stehen, werden subventioniert und ihre Investoren bevorzugt behandelt (siehe Box unten). Diese «Taxonomie» ist ein Kernstück des Green Deal, mit dem Europa die Klimakatastrophe noch abwenden will. Die Atomlobby jubilierte.
«Wenn der Wein nach Tritium schmeckt, hat’s im AKW geleckt.»
Seither ist der Teufel los. Die Umweltminister Deutschlands, Österreichs und weiterer Länder laufen Sturm. Die Umweltverbände planen europaweiten Widerstand. Und EU-Abgeordnete wollen die Kommission vor den Richter zerren. Darüber könnte der Green Deal zerbrechen – die europäische Klimapolitik, schon heute nur eine zögerliche Veranstaltung, wäre ganz abgesagt.
Denn fossiles Gas gibt besonders viele Treibhausgase ab. Atomstrom zwar deutlich weniger. Doch Radioaktivität und giftiger Müll aus den AKW sind eine schwere ökologische Belastung, Atomunfälle vernichten Leben.
Entscheidender noch ist: Wird das Kapital für den ökologischen Umbau in den erneuten Ausbau der teuren Atomenergie gesteckt, fehlt es beim Aufbau grüner Energiesysteme und der Energieeffizienz. Die neue EU-Liste ist ein frontaler Angriff auf den Versuch, den Klimawandel in erträglichen Grenzen zu halten.
Wer hat dieses Desaster organisiert? Hinter dem Silvestermanöver kaschiert sich das Händchen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Der Ex-Banker machte sich zum Cheflobbyisten der französischen Atomkonzerne Areva, Framatome, EDF usw. Um Atomstrom auf die grüne Liste zu tricksen, hatte er seit Monaten heimlich eine strategische Allianz mit den osteuropäischen Gasländern Polen, Ungarn und Tschechien gebaut. Egal, wenn dies dem Klima noch mehr schadet.
Mit dem «Fukushima-Tabu» hatte Macron bereits im letzten November gebrochen, als er überraschend ein massives französisches Atomprogramm ankündigte. Paris hat immer auf diese Technik gesetzt, nicht zuletzt aus militärischen Gründen. In keinem anderen europäischen Land laufen so viele Reaktoren (59). Frankreich betreibt in der Norman-die eine Wiederaufbereitungsanlage und verfügt über diverse Fabriken zur Atomwaffenproduktion. Zeitweise kamen 85 Prozent des französischen Stroms aus AKW (derzeit 67 Prozent).
Macrons Motive sind durchsichtig. Zuerst geht es um Greenwashing. Mit dem Atom auf der grünen Liste kann er gigantische Summen aus Steuergeldern, EU-Geld und das Kapital der Investoren in die eigene Atomindustrie lenken.
Weiter denkt Macron, der Ausbau der Atomkraft erspare ihm die Förderung nachhaltiger Energien. Die französische Wasserkraft steht bei schlappen 13 Prozent, die Windenergie (gleichauf mit Kohle!) bei 7,5 Prozent, Solar und Biomasse tragen mickrige 4,5 Prozent zur Stromerzeugung bei. Ohnehin ein Scheinargument: Die neuen Kraftwerke werden erst stehen, wenn die Klimaziele längst erreicht sein müssten.
Vor allem aber will Macron neue französische Druckwasserreaktoren vom Typ EPR verkaufen. In Frankreich sollen bald sechs EPR laufen, Das ist einigermassen bizarr. Denn der bisher einzige EPR, der im normannischen Flamanville gebaut wird, kostet bald 20 Milliarden statt der geplanten 3,3 Milliarden. Und niemand weiss, ob er jemals ans Netz gehen wird – gerade wurde sein Start zum x-ten mal verschoben. Ein technisches Fiasko.
Der weltweit erste EPR im chinesischen Taishan, von einem französisch-chinesischen Konsortium gebaut, musste im Sommer 2021 schon wieder notabgeschaltet werden. Experten vermuten jetzt einen grundsätzlichen Konstruktionsfehler der EPR-Reihe. Im finnischen Olkilouto ging Ende Jahr ein französischer EPR in Betrieb – mit zwölf Jahren Verspätung. In sechs Monaten wird man sehen, ob er funktioniert.
Spitz notierte darauf die Pariser Behörde für atomare Sicherheit ASN: «Die Industrie startet neue Grossprojekte. Sie täte gut daran, erst einmal ihre Fähigkeit unter Beweis zu stellen, die alten Reaktoren zu sichern.»
Derzeit sind fast die Hälfte der französischen AKW in Revision oder aus Sicherheitsgründen auf Stand-by. Besonders hervor tat sich der südostfranzösische Meiler Tricastin, mitten in schönen Weinlagen situiert. Im Dezember wurde im Untergrund des AKW eine gigantische Menge tritium-verseuchtes radioaktives Wasser gemessen. Wie sagt der Volksmund so schön: «Wenn der Wein nach Tritium schmeckt, hat’s im AKW geleckt.»
Will die EU ihre Klimaziele erreichen, muss sie ihren CO2-Ausstoss in acht Jahren schon um mehr als die Hälfte reduziert haben. Notwendige Investitionen: 180 Milliarden Euro pro Jahr. Also versucht Brüssel, Fonds und Anleger zu nachhaltigen Anlagen zu bewegen. Was eine solche Anlage sein kann, wird in eine grüne «Taxonomie» aufgenommen, was in etwa einer Liste gleichkommt. So soll ein «tugendhaftes» Finanzsystem entstehen, als Kern des «Green Deal».