Katrin Bärtschi ist Briefträgerin in Bern und Gewerkschafterin.
Die Briefträgerin war am Werweissen, was sie für die nächste Ausgabe der work-Zeitung schreiben solle. Da gab ihr die Nacht einen Traum ein. Einen posttraumatischen Posttraum.
Wenn die Briefträgerin an ihre Anfangszeit bei der Post zurückdenkt, packt sie in letzter Zeit öfter eine Wut und ein Zorn. Im Verlauf ihrer Tätigkeit in der Zustellung hatte sie zahlreiche Vorgesetzte. Als Teilzeiterin wechselte sie immer mal wieder das Team, kam dort zum Einsatz, wo gerade Not an der Frau bestand. Die Abwechslung gefiel ihr im grossen und ganzen. Einer der Chefs aus jener Zeit jedoch übte einen ganz besonderen Druck auf seine Leute aus, der Stand seiner Brigade in der Team-Konkurrenzskala war ihm sehr wichtig. Also sein Stand, genaugenommen. Die Briefträgerin spürt beim Zurückdenken wieder die Dauerrückenschmerzen von damals und die durch Stress verursachte Kopflosigkeit.
Ihr Chef tat, was er im wahren Leben nie geschafft hatte: Er zeigte sich zufrieden.
FRÖHLICHES ERWACHEN. Eigentlich sollten frau und man sich ja nicht zu viel aus vorgesetzten Meinungen machen, aber das ist bekanntlich leichter gesagt als getan angesichts der allgemeinen Konditionierung. Im Traum nun tat der Kerl, was er im richtigen Leben nie schaffte: Er zeigte sich zufrieden mit der Arbeit der Briefträgerin, ja äusserte sogar Anerkennung. Die Briefträgerin erwachte fast fröhlich und spann am Faden weiter: Die Kritik an ihrer «Performance» (= Menge pro Zeiteinheit) zog sich wie ein roter Faden durch den grösseren Teil ihrer bisherigen Postlaufbahn. Immerhin verlor das Thema Tempo in der jüngeren Vergangenheit ganz allgemein an Aufdringlichkeit.
Und vor ein paar Jahren dann sagte ein Jüngling, den sie seit seinem ersten Lehrjahr kannte und der inzwischen ihr Chef war, anlässlich des jährlichen «Fokus»-Gesprächs (heute: «Dialog») den erlösenden Satz zu ihr: «Du bist nicht die schnellste und nicht die langsamste Briefträgerin.» Basta!