Auch nach dem Ende ihres Streiks kämpfen die «Smoodeurs» weiter. Und haben jetzt Unterstützung von der Genfer Schlichtungsbehörde erhalten.
ZAHLT ENDLICH! Am 5. Februar protestierten die Smood-Fahrerinnen und -Fahrer in Genf erneut gegen die erdrückende Arbeitslast und die tiefen Löhne. (Fotos: Lucas Dubuis)
Mit einem gigantischen schwarzen Rucksack protestierten die Fahrerinnen und Fahrer des Lieferdienstes Smood in der Genfer Innenstadt. Die Botschaft am 5. Februar war klar: Sie wollen die riesige Arbeitslast, die grenzenlose Flexibilisierung und die miese Bezahlung nicht mehr akzeptieren.
Zwei Tage später bekamen die «Smoodeurs» Sukkurs von der Genfer Schlichtungsstelle CRCT. Dort hatten sie, unterstützt von der Unia, mehr als einen Monat lang mit Smood verhandelt. Ohne Erfolg, die Schlichtung scheiterte Ende Januar (work berichtete darüber: rebrand.ly/schlichtung).
Aber die CRCT gibt nicht auf: Jetzt hat sie zehn Empfehlungen abgegeben, wie eine Lösung des Konflikts aussehen könnte. Und dabei zentrale Forderungen der Fahrerinnen und Fahrer aufgenommen. Die zwei wichtigsten: eine garantierte Mindestarbeitszeit von 17 Stunden pro Woche und die Bezahlung aller Arbeitsstunden, einschliesslich der Wartezeiten während der Schichten.
«Notfalls muss ein Gericht dafür sorgen, dass sich Smood an die Regeln hält.»
SMOOD MAUERT
Letzteres sollte eigentlich selbstverständlich sein. Gilt aber für einen Grossteil der Smood-Kurierinnen und -Kuriere nicht. Sie sind nicht von Smood direkt angestellt, sondern vom Subunternehmen Simple Pay. Und werden dort im Minutentakt bezahlt – und zwar erst ab dem Moment, in dem sie einen Auftrag annehmen, bis zum Zeitpunkt, in dem sie die Lieferung abgeben. Für die Zeit dazwischen gibt’s: nichts. Das CRCT findet dafür klare Worte: «Nicht akzeptabel.»
Hartnäckig war auch die zuständige Regierungsrätin Fabienne Fischer. Nachdem die CRCT ihre Empfehlungen bekanntgegeben hatte, lud sie die Konfliktparteien zu einem Treffen ein. Doch es kamen nur die Unia, Syndicom und das Subunternehmen Simple Pay. Smood nahm nicht teil. Fischer lud abermals ein, diesmal kam auch Smood. Aber, so Unia-Mann Roman Künzler: «Sie haben nichts zu einer Lösung des Konflikts beigetragen. Smood war zu keinerlei Kompromissen bereit.»
MISERABLE BILANZ
Noch kurz vor dem Protest in Genf hatte sich Smood ein bisschen bewegt. Die Firma will den Stundenlohn leicht anheben und die Arbeitszeit transparent erfassen. Doch die Bilanz ist miserabel. Unia-Mann Künzler: «Von den zehn Empfehlungen der CRCT hat Smood bisher nur eine umgesetzt.»
Und das ist das Problem. Wenn Smood mauert, bleiben die Empfehlungen der Behörde toter Buchstabe. Deshalb fordert die Unia jetzt: Smood muss endlich den Gesamtarbeitsvertrag des Gastgewerbes (L-GAV) einhalten. Der gilt, so steht es in Artikel 1, auch für «Betriebe, die fertig zubereitete Speisen ausliefern».
Bisher weigert sich Smood, das anzuerkennen. Für Mauro Moretto, Gastgewerbe-Verantwortlicher bei der Unia, ist auch klar, warum: «Der L-GAV hält unzweideutig fest, dass Präsenzzeit als Arbeitszeit gilt. Nur während der Aufträge zu bezahlen, wie Simple Pay das macht, ist nicht zulässig.»
KLARE SACHE
Gerne hätte work gewusst, warum Smood glaubt, die Regeln der Gastrobranche, die der Bundesrat für allgemeinverbindlich erklärt hat, gälten für die Firma nicht. Doch auch hier: keine Antwort von der Smood-Chefetage. Dafür teilte der Smood-Besitzer heftig gegen die Unia aus (siehe Text unten).
Und jetzt? Den GAV durchzusetzen ist Sache der Kontrollstelle. Sie wird gemeinsam von Arbeitnehmenden- und Arbeitgeberverbänden geführt. Für Unia-Mann Moretto ist klar: «Wenn Smood weiter auf stur stellt, muss notfalls ein Gericht dafür sorgen, dass sich die Firma an die Regeln hält.»
Marc Aeschlimann spielt Gewerkschaften gegeneinander aus Das durchsichtige Manöver von Mr. Smood
Marc Aeschlimann, CEO und Mehrheitsbesitzer von Smood, geht frontal auf die Unia los. Hintergrund ist ein GAV, den niemand je gesehen hat.
REKLAMIERER: Smood-Chef Marc Aeschlimann. (Foto: Niels Ackermann / Lundi 13)
Dialogbereitschaft ist das nicht. Als die zuständige Genfer Regierungsrätin den Lieferdienst Smood und die Gewerkschaften an ein Treffen lädt (siehe Text oben), glänzt Smood-Chef Marc Aeschlimann erst mal durch Abwesenheit. Am gleichen Tag erscheint in der Zeitung «Le Temps» ein Interview mit dem Jungunternehmer. Darin teilt Aeschlimann (geschätztes Vermögen: bis zu 200 Millionen Franken) mächtig gegen die Unia aus.
Existiert das Dokument überhaupt?
98 PROZENT? Aeschlimanns Ärger geht zurück auf das erste Halbjahr 2021, also schon bevor die Unia Smood wegen des aktuellen Konflikts erstmals kontaktierte. Damals habe er mit der Gewerkschaft Syndicom einen Gesamtarbeitsvertrag (GAV) aushandeln wollen, so Aeschlimann. Gegenüber «Le Temps» sagt er wörtlich: «Ende August waren wir uns zu 98 Prozent einig.» Die Intervention der Unia, vor Streiks in elf Westschweizer Städten, habe alles kaputtgemacht. Oder wie es Aeschlimann ausdrückt: «Unia schmarotzte bei der Fertigstellung des GAV.» Wie jetzt? Nachfrage bei Syndicom: Was war das für ein GAV? Gab es überhaupt Verhandlungen? Doch Syndicom möchte sich nicht äussern. Noch im letzten November, kurz nach Streikbeginn, sprach Syndicom nicht von «Verhandlungen», sondern von «Diskussionen» mit Smood.
LUFTSCHLOSS. Wer lügt hier also? Véronique Polito, Unia-Vizepräsidentin, wollte es genau wissen. Sie bat Smood, ihr den GAV-Entwurf zu zeigen. Aber, so Polito: «Ich bekam das Dokument nie zu Gesicht – wenn es überhaupt existiert.»
Die böse Unia plage nicht nur Smood, sondern terrorisiere auch Syndicom, so der Tenor des Aeschlimann-Interviews. Für Unia-Frau Polito ein durchsichtiger Schachzug: «Das ist die bekannte Strategie der Arbeitgeber, die Gegner zu spalten.»
Neben dem Attackieren kennt Aeschlimann noch eine zweite Tonart: das Reklamieren. Vor allem über den Dumping-Lieferdienst Uber Eats. Er zahle «hundert Prozent mehr» an Sozialversicherungsbeiträgen als seine Konkurrenten. «Seit Jahren» verlange er von den Behörden, dies zu korrigieren.
Da rennt er bei der Unia offene Türen ein. Gewerkschafterin Polito kritisiert allerdings die Lösung, die Aeschlimann anstrebt: «Er will Verträge, die mit dem Geschäftsmodell von Uber Eats konkurrenzfähig sind. Das Ergebnis wäre eine Anpassung nach unten für die ganze Branche. Da machen wir als Gewerkschaft nicht mit.»