Politisiert wurde Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan ausgerechnet in der Schweiz. Jetzt wird sie internationale Klimabeauftragte in Berlin. Eine spektakuläre Wahl.
FASSADENKLETTERN UND NETZWERKEN: Jennifer Morgan ist Aktivistin und neu auch Politikerin. (Foto: Greenpeace)
«Geht gar nicht!» und «unanständige Wahl!»: So erhitzt sich die deutsche Boulevardzeitung «Bild» über die Ernennung von Greenpeace-Co-Chefin Jennifer Morgan zur deutschen Sonderbeauftragten für internationale Klimapolitik. Gelandet hat den politischen Super-Coup die grüne deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock. Sie hat die 55jährige Klimakämpferin und Politikwissenschafterin zu sich ins Auswärtige Amt geholt.
Seither rumpelt es nicht nur im deutschen Blätterwald. Auch die NZZ nörgelt schmallippig: «Dass es politisch klug ist, der Chefin einer solchen Organisation ein Regierungsamt anzutragen, darf bezweifelt werden.» Schliesslich provoziere das 400-Millionen-Unternehmen Greenpeace mit seinen 3 Millionen Mitgliedern gerne mit waghalsigen Aktionen, die an der Legalität ritzten, so die «alte Tante» von der Zürcher Falkenstrasse. Die sich auch darüber echauffiert, dass Deutschland mit Morgan nun die «weltweite moralische Führungsrolle» in der Klimapolitik übernehmen will. Und so wohl auch der solarfaulen Schweiz nachhelfen wird (siehe Rubrik «Rosa Zukunft»).
«Wir gehen den Weg bis zum Ende.»
«NICHT MEIN PROBLEM»
Morgan ist überzeugte AKW-, Kohlekraft- und Gentech-Gegnerin. Und sie ist überzeugt von erneuerbaren Energien und Energieeffizienz. Zu Donald Trump sagte Morgan, die in Ridgewood im US-Staat New Jersey geboren wurde, einst: «Wir bräuchten einen Präsidenten, der die Erkenntnisse der Wissenschaft akzeptiert. Jetzt haben wir einen, der den vom Menschen verursachten Klimawandel leugnet.» Und zum Lesbischsein: «Ich wohne mit einer wunderbaren Frau in Berlin zusammen. Wenn sich da jemand daran stört, ist es sein oder ihr Problem und nicht meines.»
BIS ZUM ZIEL
Morgan hat in den USA ein Aktivistentraining absolviert, um Demo-Fertigkeit zu erlangen. Und gelernt, wie frau klettert, um ein Banner zu hissen. Auf einer Arktis-Expedition hat sie dann Müll gesammelt. Die Klimakämpferin ist also gut ausgebildet. Und vernetzt: Seit der ersten internationalen Klimakonfernz hat sie bei keiner gefehlt. Sie gilt als Vertraute von John Kerry, dem Sondergesandten des Präsidenten für das Klima unter Joe Biden. Und sie soll sich auch gut mit EU-Vizepräsident Frans Timmermans verstehen. Morgan ist eben «ein grünes Superweib», wie der Kolumnist und «Gossen-Goethe» Franz Josef Wagner in der «Bild» jubiliert.
Nur einmal soll Morgan den Tränen nah gewesen sein. Das war 2009 an der Klimakonferenz in Kopenhagen. Innerhalb weniger Stunden lösten sich dort alle Hoffnungen auf ein neues globales Klimaabkommen in Luft auf. Doch dann rappelte sich die Weltverbesserin rasch wieder auf, ganz nach ihrem Credo: «Wir gehen den Weg bis zu Ende und bis wir unsere Ziele erreicht haben.»
NIEDERERLINSBACH
Frei nach John F. Kennedy («Ich bin ein Berliner») ist auch Jennifer Morgan «eine Berlinerin», mit dem Unterschied, dass sie perfekt Deutsch spricht und in der Weltstadt an der Spree auch studiert hat. «Die Stadt hat eine tiefe Seele, weil sie so viel erlebt hat», sagt sie über ihre Wahlheimat, wo sie sich jetzt auch einbürgern lassen will.
Ein weiterer Skandal für ihre Kritikerinnen und Kritiker: eine Noch-Ausländerin als Staatssekretärin im deutschen Auswärtigen Amt? Doch Morgan ist auch ein bisschen Schweizerin. Ausgerechnet im AKW-Gösgen-Land, im solothurnischen Niedererlinsbach, wurde sie einst politisiert. Während eines zweimonatigen Austauschprogramms bei einer Gastfamilie. 2017 erzählte sie der «Sonntagszeitung»: «Damals unterstützte die US-Regierung den Guerrillakrieg gegen die linke Regierung in Nicaragua. Ich hatte keine Ahnung von Politik. Meine Freunde und meine Gastfamilie fragten mich da, was meine Regierung in Nicaragua mache. Das beschäftigte mich. Ich begann, mit mehr Menschen über die Rolle der USA in anderen Ländern zu sprechen. So wurde ich für Politik sensibilisiert, vor allem für Aussenpolitik.» Und jetzt, Jahrzehnte danach, besteigt sie die politische Bühne der Berliner Republik. Es wird spannend.