USA: Trump ist weg. Doch die Krise bleibt.
Bröckelnde Brücken, Katzenjammer und eine Rechte, die durchdreht

Die USA machen nach wie vor Negativschlagzeilen. Dabei versprach der demokratische Präsident Joe Biden die Rückkehr zu einem verlässlicheren Amerika. Doch das ist das letzte, was die Republikaner wollen.

WEGGESPICKTE AUTOS UND EIN EINGEKLEMMTER BUS: Der Einsturz der Fern-Hollow-Brücke in Pittsburgh ist zum Sinnbild geworden für ein Amerika, das auseinanderbricht. (Fotos: Screenshots KDKA / ABC)

Um 6.39 Uhr am Freitagmorgen, 27. Januar, brach in Pittsburgh im US-Bundesstaat Pennsylvanien die Fern-Hollow-Brücke zusammen. Ein roter Bus des lokalen ÖV steckte fast schon malerisch in den verschneiten Ruinen fest. Daneben ein paar gestauchte Autos. Tote gab es beim Zusammensturz zum Glück keine, bloss einige Leichtverletzte. Wenige Stunden später landete Präsident Joe Biden in Pittsburgh. Nicht spontan wegen des Einsturzes. Sondern von langer Hand geplant wegen der kommenden Zwischenwahlen im Herbst 2022. Der demokratische Regierungschef wollte den Wählerinnen und Wählern dieses wichtigen Swing States, in dem Republikaner und Demokraten etwa gleich stark sind, die Segnungen seiner 1,2 Billionen Dollar starken Infrastrukturvorlage nahebringen.

Nun war die eingestürzte Fern-Hollow-Brücke sozusagen über Nacht zu einem Sinnbild geworden. Und zwar nicht nur für die übrigen baufälligen Brücken und Strassen im ganzen Land. Sondern auch für die vernachlässigte soziale und ökologische Infrastruktur. «Build Back Better» lautete Joe Bidens Wahlspruch: Als Präsident wolle er die USA wiederaufbauen, und zwar besser als je zuvor. Ist es dafür bereits zu spät?

Erstmals hätten alle Arbeitenden Anspruch auf vier Wochen bezahlte Freitage …

IM HINTERTREFFEN

An der Pittsburgher Unglücksstelle angelangt, sagte Biden: «Wir sind seit vielen Jahren wahnsinnig im Hintertreffen, was die Infrastruktur anbelangt.» Und er versprach, seine Regierung werde Fern Hollow und alle anderen der insgesamt 224 000 reparaturbedürftigen Brücken der USA instand stellen. Die Strassenbauexperten sind etwas skeptischer. Die im letzten November beschlossene Infrastrukturvorlage sieht 27,5 Milliarden Dollar für die Renovation von Brücken vor. Das ist nur etwa ein Zehntel des insgesamt benötigten Budgets. Und selbst das bereits beschlossene Geld kann zurzeit noch nicht voll eingesetzt werden. Zwar wird die Zahlungsunfähigkeit der USA mit kurzfristigen Finanzbeschlüssen immer wieder abgewendet. Der nächste solche Entscheid steht für den 18. Februar an. Doch derartige Notbudgets basieren auf den Zahlen vom letzten Jahr, nicht auf den neu gesetzten Schwerpunkten in der bereits beschlossenen Infrastrukturvorlage.

Der Wiederaufbau der USA verzögert sich also. Und genau das ist das Ziel der republikanischen Minderheit im Parlament. Sie will die «linksradikale» demokratische Regierung behindern, wo es nur geht. Sogar beim herkömmlichen Infrastrukturausbau, der bekanntlich bei Bürgerinnen und Bürgern jeglicher politischen Couleur sehr beliebt ist. Noch entschiedener sabotieren die Rechten die sozialen und ökologischen Reformversuche der zweiten, «weichen» Infrastrukturvorlage Bidens. Und ihre Rechnung scheint aufzugehen: Rund drei Viertel aller US-Amerikanerinnen und -Amerikaner sagen derzeit, sie seien unzufrieden mit der Lage der Nation. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung hadert auch mit Joe Biden.

ES GEHT UM LEBEN

Gründe für den Katzenjammer gibt es mehr als genug. Nicht nur der Unterhalt von Brücken und Strassen ist in den USA wahnsinnig im Hintertreffen. Auch die Stromnetze, die Systeme der Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung sind überaltert. Sie stehen als Folge der jahrzehntelangen neoliberalen Sparpolitik kurz vor dem Zusammenbruch. Dieses Versagen belastet den Alltag der breiten US-Bevölkerung, die auf funktionierende Gemeinschaftseinrichtungen angewiesen ist.

Wichtig: Infrastrukturprobleme treffen nicht alle gleich. Die ganz Reichen können vielen Problemen ganz einfach ausweichen. Milliardäre leben zum Beispiel kaum in der Nähe einer der drei Millionen verlassenen Erdöl- und Erdgasquellen der USA, die seit Jahrzehnten Methan ausströmen. Und das bloss, weil die Förderunternehmen es unterlassen haben, die Quellen fachgerecht zu versiegeln. Weil Millionen von weniger Reichen im Umkreis dieser Dreckschleudern leben, sind sie sowohl ein ökologisches wie auch ein soziales Problem. Oder wie Melissa Bakth (43), eine Augenzeugin des Brückeneinsturzes in Pittsburgh, so treffend bemerkte: «Es geht nicht bloss um Geld und Zahlen. Es geht immer auch um unser Leben.»

Die neugewählte demokratische US-Regierung hatte diese Zusammenhänge verstanden. Nicht zuletzt dank dem Druck ihres erstarkten linken Flügels legte Präsident Biden zusammen mit der «Strassen und Brücken»-Vorlage ein zweites Investitionspaket mit Schwerpunkt Soziales und Klimaschutz vor: den sogenannten Build-Back-Better-Act. Ursprünglich hätte dieser 3,5 Billionen Dollar kosten sollen, knapp die Hälfte der 7,7 Billionen Dollar, die das US-Militär in einem einzigen Jahr verschlingt. Die Rechte schrie Zeter und Mordio. Die Demokraten schlugen Kürzungen vor. Doch selbst ein abgespecktes 1,75-Billionen-Paket konnte im Senat keine Mehrheit gewinnen. Die Republikaner stellten sich geschlossen gegen den «unamerikanischen Sozialismus». Zwei demokratische Senatsmitglieder schlossen sich an. Nach diesem Nein ist unklar, was mit der Vorlage passieren wird. Fest steht, dass sich die USA nicht so bald in Richtung Sozialismus bewegen werden. Nicht einmal in Richtung Sozialdemokratie.

… doch die Republikaner laufen gegen die Sozialreformen Sturm.

ENDLICH EIN SOZIALSTAAT?

An Ideen für eine gerechtere und grünere Gesellschaft hat es nicht gefehlt. Die «weiche» Infrastrukturvorlage budgetierte unter anderem Geld für dringend benötigte erschwingliche Wohnungen, für den Übergang zu sauberer Energie und den Klimaschutz. Für eine Verbesserung der bereits vorhandenen staatlichen Krankenkasse für die über 65jährigen.

Bei der breiten Bevölkerung am populärsten waren die Vorschläge zum Aufbau eines Sozialstaates, der diesen Namen auch verdient: Freie Tagesstätten und Kindergärten für alle Drei- und Vierjährigen. Alternative Ausbildungsangebote für junge Erwachsene, die sich die teuren Privathochschulen nicht leisten können. Kinderzulagen. Und endlich bezahlte Kranken- und Familientage! Was in anderen Industrienationen längst eine Selbstverständlichkeit ist, wäre in den USA als neue Errungenschaft gefeiert worden. Zum ersten Mal in der Geschichte der Nation hätten alle Lohnabhängigen gesetzlichen Anspruch auf vier Wochen bezahlte Freitage gehabt. Heute verlieren Millionen von Arbeitenden ihr Einkommen, sobald sie krank werden, jemanden betreuen müssen oder einfach mal eine Auszeit brauchen (siehe Artikel unten, «Wir wollen mehr!»). Doch gegen all das laufen die Republikaner Sturm.

Im Pandemiejahr 2021 hatte die Regierung Biden einen Grossteil der Bevölkerung mit Direktzahlungen, mit aufgestocktem Arbeitslosengeld, mit Kinderzulagen und anderen Sofortmassnahmen unterstützt. Für viele Familien bedeuteten diese Zustüpfe den Unterschied zwischen prekärer Armut und existenzsicherndem Einkommen. Sie alle hatten natürlich gehofft, dass Bidens soziales Infrastrukturpaket die zeitlich befristeten Pandemiegelder ablösen würde. Doch daraus wurde nichts. Die Kinderzulagen der Bundesregierung zum Beispiel sind Ende Dezember abgelaufen. Die schönen Reformvorschläge stehen auf dem Abstellgleis. Nur Covid ist immer noch da. Und macht die alten Missstände, die soziale Ungleichheit und die politische Polarisierung des Landes, noch schlimmer. Präsident Biden und die Demokraten sind nicht zu beneiden. Ihr Regierungsauftrag ist enorm.

DIE «BÖSEN ANDEREN»

Derweil hat sich die republikanische Oppositionspartei der USA ganz darauf verlegt, den grossen Frust in der Bevölkerung nach Kräften zu schüren. Aus der ökonomischen Not soll manipulierbares Ressentiment werden. Wie das geht, macht Ex-Präsident Donald Trump heute noch vor. Die beiden wichtigsten Maximen des Rechtspopulisten: Was nicht sein darf (zum Beispiel seine Wahlniederlage), wird schlichtweg verleugnet beziehungsweise ins Gegenteil umgedeutet, in die Lüge von der gestohlenen Wahl. Und: Schuld sind immer die anderen.

Ein Beispiel: Soeben hat die republikanische Parteiführung RNC den Saubannersturm aufs Capitol vom 6. Januar 2021 neu definiert. Die gewalttätige Besetzung des Parlamentsgebäudes durch Rassisten und Schwurblerinnen, bei der mehrere Menschen verletzt und getötet wurden, ist auf einmal ein «legitimer politischer Diskurs». Und warum?

Weil die Rechte sich im Krieg wähnt. Im Endkampf gegen die «bösen anderen». Vorab gegen die «Andersfarbigen», die Schwarzen und People of color (siehe unten, «Wo Rassismus Schule macht»). Dann auch gegen Lesben, Schwule und Transgender-Personen. Gegen Migrantinnen und Migranten, Feministinnen, Muslime, Linke und Grüne. Gegen Gewerkschaftsmitglieder. Sozialhilfeempfänger, demokratische Ratskolleginnen, kritische Lehrkräfte. Und so weiter.
Im Weltbild der heutigen Republikaner sind diese anderen nicht mehr Andersdenkende, sondern Untermenschen, die mit allen Mitteln bekämpft und allenfalls eliminiert werden müssen. Wenn möglich mit rassistischen Gesetzen, aber notfalls auch mit Gewalt.

Das sind bekannte faschistoide Töne. Die Brückenbauer auf der anderen Seite tun gut daran, nicht zu spät und zu zögerlich daranzugehen, die reparaturbedürftige Demokratie der USA wieder instand zu stellen.

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