Neue Recherchen zeigen: Schweizer Agrarmultis lassen auf über 550 eigenen Plantagen Zuckerrohr, Kaffee, und Bananen produzieren. Menschenrechte und Umweltstandards sind ihnen nicht so wichtig.
SCHWEIZER PLANTAGEN IN ÜBERSEE: Mindestens 14 der weltweit grössten Rohstoffhändler haben einen zentralen Standort in der Schweiz. Diese Konzerne kontrollieren rund 550 Plantagen. (Grafik: Public Eye)
Gewerkschafter Tomás Membreño Pérez war unterwegs zur Bananenplantage Santa Rita, als er bemerkte, dass er von einem Auto ohne Nummernschild verfolgt wurde. Ein paar Tage zuvor war ihm via Facebook und Telefon angedroht worden, man werde ihn und seine Familie umbringen. Sein «Vergehen»? Er hatte sich als Präsident der Gewerkschaft der Landarbeiterinnen gegen unbezahlte Löhne, Einschüchterung und antigewerkschaftliche Entlassungen auf der Finca Santa Rita gewehrt. Die Bananenplantage liegt im zentralamerikanischen Honduras und gehört dem Agrarmulti Chiquita mit Sitz in Etoy, Kanton Waadt.
Die Plantagen der Agrarmultis umfassen 2,7 Millionen Hektaren.
INTRANSPARENTE GESCHÄFTE
Während Chiquita eine halbwegs bekannte Marke ist, können Multis wie Olam, Cargill, Louis Dreyfuss Company (LCD) oder die Neumann Kaffee Gruppe weitgehend ohne öffentliche Aufmerksamkeit geschäften. Dabei werden 50 Prozent des globalen Handels mit Getreide und Ölsaaten (zum Beispiel Soya), 40 Prozent des globalen Zuckerhandels und jede dritte Kaffeebohne in Genf oder in Zug gehandelt – obwohl sich diese Agrarrohstoffe physisch nie in der Schweiz befinden. Jetzt hat die Nichtregierungsorganisation «Public Eye» 14 dieser Agrarkonzerne mit Sitz in der Schweiz unter die Lupe genommen, und Erstaunliches festgestellt: Nicht nur kontrollieren diese Multis die weltweit grösste Handelsdrehscheibe für Agrarrohstoffe, sie besitzen sogar über 550 eigene Plantagen und bauen auf einer Fläche von 2,7 Millionen Hektaren Getreide, Palmöl, Kaffee, Zitrusfrüchte oder Bananen an. Die Fläche ist sechsmal so gross wie die gesamte landwirtschaftlich genutzte Fläche der Schweiz. Public Eye zeigt diesen Neokolonialismus auf einer beeindruckenden interaktiven Karte: schweizer-plantagen.ch
VOLLMUNDIGE BETEUERUNGEN
Lange Zeit stellte sich die Branche als Bindeglied zwischen den Produzierenden und Verarbeitenden (Hersteller von Lebens-, Genuss- oder Futtermitteln) dar. Doch längst sind diese Unternehmen vertikal integrierte Agro-Food-Konzerne. Das heisst, sie bestimmen massgeblich über die Produktions- und Herstellungsbedingungen entlang der Wertschöpfungskette. Dieses Geschäftsmodell zeigt sich nicht zuletzt an den Slogans der Multis. LDC (operativer Hauptsitz in Genf) beispielsweise verspricht Dienstleistungen «From farm to fork», also vom Feld bis auf die Gabel beziehungsweise den Teller.
Obwohl die Konzerne vollmundig beteuern, sich in diesem Milliardengeschäft an die Menschenrechte und Umweltstandards zu halten, gelingt ihnen dies häufig nicht (die Antworten der Konzerne auf die Public-Eye-Recherche finden Sie hier: rebrand.ly/konzern-antworten). Denn was Gewerkschafter Pérez auf der Bananenplantage in Honduras anprangert, ist kein Einzelfall. Vielerorts kommt es zu Arbeitsrechtsverletzungen, Landraub und Umweltverschmutzung. So baut etwa Biosev, bis vor kurzem Teil von LDC, seit Jahren in Brasilien auf gewissen Plantagen ohne Umweltlizenz Zuckerrohr an. In Indonesien wiederum hat eine Palmölplantage von Cargill (globale Handelsabteilung für Getreide und Ölsaaten sowie Fracht in Genf) lokale Gemeinschaften ihrer Lebensgrundlage beraubt.
Weltweit leisten Millionen von Menschen im Landwirtschaftssektor Schwerstarbeit, erhalten aber keine existenzsichernden Einkommen und Löhne. Der Agrarsektor gilt als Hochrisikobranche für Zwangsarbeit und Kinderarbeit. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) schätzt, dass in diesem Sektor jährlich mindestens 170’000 ums Leben kommen, und Millionen sich schwer verletzen oder wegen hochgefährlicher Pestizide krank werden.
Dennoch fehlt es in der Schweiz an wirksamen Regeln. Obwohl die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung Ja sagte zur Konzernverantwortungsinitiative, setzt der Bundesrat nach wie vor auf freiwillige Unternehmensverantwortung. Diese Lücke versucht die EU mit verbindlichen Sorgfaltsprüfgen zu schliessen. Das wäre auch hierzulande dringend nötig. Aber bis dahin können die Agrarmultis in der Schweiz weiter unbehelligt ihren intransparenten, neokolonialistischen Geschäften nachgehen.