Den Angriffskrieg von Putin wollen Kalte Kriegerinnen und Waffenhändler zur Aufrüstung missbrauchen. Auch in der Schweiz.
SOLDATEN-SELFIE: Armee-Ministerin Viola Amherd mit Truppen am WEF, 2019. (Foto: Keystone)
Wer hat noch nicht, wer will noch mal? Im Gleichschritt mit den Nato-Ländern melden sich auch in der Schweiz die Aufrüsterinnen und Aufrüster zu Wort. Und wie. Eine kleine Auswahl:
- FDP und SVP wollen das Armee-Budget um 2 Milliarden pro Jahr aufstocken. Und den Armee-Sollbestand um 20 Prozent erhöhen auf 120’000 Mann.
- Der Bundesrat möchte eine allgemeine Dienstpflicht auch für Frauen.
- Armee-Chef Thomas Süssli drängt sich im Kampfanzug vor jede Kamera, die sich ihm bietet. Für 15 Milliarden Franken möchte er gern Waffen und so beschaffen.
- Mehr oder weniger offen laufen die Angriffe auf den Zivildienst, das ewige Feindbild der Militaristen.
- Die Militärdienstdauer soll verlängert werden.
- Pensionierte Obristen fordern wahlweise 200’000 Soldaten oder auch 300’000.
- Armee-Bundesrätin Viola Amherd versteigt sich zur Aufforderung ans Stop-F-35-Initiativkomitee, es solle doch die erfolgreich laufende Unterschriftensammlung gegen den US-Flieger abbrechen. Ein beispielloser demokratieunwürdiger Vorgang (mehr Fragwürdiges zum US-Tarnkappenbomber siehe Artikel unten).
- Immerhin hat noch niemand laut und öffentlich einen offiziellen Beitritt der Schweiz zur Nato gefordert. Inoffiziell und unter diversen Arbeitstiteln ist die Schweiz allerdings längst verbunden und verbandelt mit diesem «militärischen Sonderbund des reichen Nordwestens der Welt», wie Grünen-Politiker, GSoA-Aktivist und Historiker Jo Lang die Nato einmal ebenso träf wie treffend bezeichnet hat.
Die Schweizer Armee leidet nicht unter Geldmangel.
VIEL GELD FÜR PANNENLADEN
Übrigens: Noch schneller als FDP und SVP, Armeechef und Amherd war eine Sozialdemokratin. Der russische Überfall auf die Ukraine war noch keine 36 Stunden alt, da liess sich die Solothurner Nationalrätin Franziska Roth auf dem rechtrandigen Internetportal «Nebelspalter» so zitieren: «Ich bin zum Schluss gekommen, dass die Abrüstung der konventionellen militärischen Kampfmittel wie Artillerie und Panzer momentan keine Option mehr darstellt.» Und: «Ich gebe zu, wir haben uns getäuscht.» Entsprechend viel Liebe und Aufmerksamkeit wurden ihr von der Bürgerpresse zuteil.
Der völkerrechtswidrige Krieg gegen die Ukraine hat die sicherheitspolitische Diskussion in der Schweiz tief in die 1980er und 1990er Jahre zurückkatapultiert. Aber vielleicht helfen ja Fakten. Auch hier eine kleine Auswahl:
- Die Schweiz hat ihre Militärausgaben in den vergangenen Jahren dauernd erhöht. 2020 waren sie auf dem höchsten Stand seit 1995. Die quasi offiziellen 0,8 Prozent des Bruttoinlandproduktes (BIP) weisen in der Schweizer Rechnung nicht alle Kosten aus. Es fehlen zum Beispiel die Kosten für die Armee, die von den Kantonen und Gemeinden getragen werden müssen. Ebenfalls nicht berücksichtigt sind die Ausgaben für die Militärversicherung, für den staatlich garantierten Erwerbsersatz sowie die Lohnfortzahlungen der Arbeitgeber für Dienstpflichtige. Realistischerweise liegen die Gesamtkosten heute schon bei mindestens 1,2 Prozent des BIP.
- Die Schweizer Armee leidet nicht unter Geldmangel. Sie leidet unter der Unfähigkeit, es wenigstens pannenfrei auszugeben. Per Ende 2020 verliefen von 23 Grossbeschaffungsprojekten der Armee «8 plangemäss, 7 nur teilweise und die 8 übrigen in der Mehrheit der Kriterien nicht wie vorgesehen». Das sagen nicht linke Armeekritikerinnen und -kritiker, sondern Amherds VBS selbst. Der Bericht für 2021 liegt noch nicht vor. Bereits letztes Jahr ist aber bekannt geworden, dass die Armee allein bei IT-Projekten 100 Millionen zu viel verlocht hat.
ZU VIEL, ZU WENIG
Kriegsflüchtlinge sind nicht wegen Abrüstung auf der Flucht, sondern wegen Aufrüstung. Wer das Sterben und Leiden dieser Aufrüstungsopfer instrumentalisiert, um noch mehr Aufrüstung zu fordern, ist zynisch. Denn Panzer, Bomben, Kampfjets und Raketen sind nicht die Lösung, sondern das Problem.
F35-Jet: Ein atomwaffenfähiger Angriffs-Tarnkappenbomber
der Bundesrat wollen die F-35-Beschaffung ohne Volksentscheid durchdrücken. Dabei stellen sich mehr Fragen denn je.
DAS MODERNSTE KAMPFFLUGZEUG: Der F-35 A wäre eine Top-Karte im Flieger-Quartett, aber ein Flop für die Schweiz. (Foto: Keystone)
Mit einem Zufallsmehr von 8670 Stimmen (bei 3 202 730 abgegebenen) sagte das Volk am 27. September 2020 Ja zur Beschaffung von neuen Kampfflugzeugen – ohne sich zum Typ äussern zu können. Linke Parteien und fortschrittliche Organisationen haben immer klargemacht, dass sie die Beschaffung eines US-Jets mit einer Initiative bekämpfen werden. Trotzdem entschied sich der Bundesrat für den US-Tarnkappenbomber F-35. Das Beste, was der Kriegsmarkt so hergebe, behauptet das VBS: sensationell günstiges Preis-Leistungs-Verhältnis und sowieso ideal für die Schweiz.
Doch es gibt erhebliche Zweifel an den VBS-Aussagen. So erhebliche, dass sich derzeit gleich zwei Gremien damit beschäftigen: Die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates überprüft die Rechtmässigkeit der Vergabe, und die Eidgenössische Finanzkontrolle widmet sich den finanziellen Risiken der Beschaffung genauer.
SCHWEIZ IM ANGRIFFSKRIEG
Und es gibt noch weitere Fragezeichen. So enthüllte die SRF-«Rundschau» die vom VBS geheimgehaltenen Szenarien der Kampfjet-Ausschreibung. Die Hälfte davon drehte sich um Schweizer Einsätze im Ausland. Und zwar um «präventive Einsätze» – also Angriffskrieg. Zum Beispiel auf Tschechien. Dort – 370 Kilometer von der Schweiz entfernt – mussten die Bomber in einem Szenario beweisen, wie gut sie einen Flughafen bombardieren können und gleich noch einen gegnerischen Kommandanten-Konvoi «ausschalten».
US-GENERAL WIDERSPRICHT
Die VBS-Propaganda wird Mal um Mal entlarvt. Und es ist nicht anzunehmen, dass schon alles aufgedeckt ist. Das dürfte der wahre Grund sein, warum das VBS und rechte Parteien den Kaufvertrag im Schweinsgalopp unterschreiben wollen. Ihr neustes Argument: Wenn die Volksabstimmung abgewartet werden müsste, müsse die Schweiz hintenanstehen, weil jetzt auch Deutschland den F-35 kaufen wolle. Deutschland will dies übrigens explizit wegen der «nuklearen Teilhabe» – das ist Militaristen-Deutsch und meint: Der F-35 kann in Deutschland mit US-Atombomben bestückt werden, die dann zum Beispiel auf St. Petersburg abgeworfen werden können.
Dumm für die Tarnkappenbomber-Fans: Es gibt überhaupt keinen Zeitdruck. Das bestätigte am Dienstag dieser Woche ausgerechnet der vom VBS als Stargast nach Payerne VD eingeladene Charles Q. Brown Jr., General der US-Luftwaffe. Er sagte: «So wie ich informiert bin, hat die Schweiz einen Platz in der Warteliste, und dieser ist garantiert. Ich sehe nicht, dass sich das ändert.»
Bereits sind rund 88’000 Unterschriften gegen den US-Tarnkappenjet beisammen. Wer noch nicht unterschrieben hat, kann das hier nachholen: www.stop-f-35.ch.