Erneut hat ein Gericht in Italien Milliardär Stephan Schmidheiny (74) zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Ob der ehemalige Eternit-Besitzer aber je eine Zelle von innen sehen wird, ist mehr als fraglich.
STEPHAN SCHMIDHEINY: Noch bis 1978 hat der Eternit-Chef Arbeiter dem hochgiftigen Asbeststaub ausgesetzt (Aufnahme von 1996). (Foto: Keystone)
Ein Geschworenengericht in Neapel hat den ehemaligen Eternit-Besitzer Stephan Schmidheiny am 6. April wegen Totschlags zu drei Jahren und sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Dies wegen eines Eternit-Arbeiters aus dem Stadtteil Bagnoli, der an den Spätfolgen von Asbest gestorben ist. Die einstige Wunderfaser mit den tödlichen Folgen wurde nicht nur in den Eternit-Werken in Niederurnen GL hergestellt, sondern auch in verschiedenen Fabriken in Italien. Darunter eben in jener von Bagnoli.
Seit bald fünfzehn Jahren schon muss sich der Ex-Industrielle Stephan Schmidheiny in Italien für seine Eternit-Vergangenheit verantworten. Er stieg 1978 zwar aus der Asbestproduktion aus. Doch das sei viel zu spät gewesen, so der Vorwurf der italienischen Ankläger.
2014 hatte der Römer Kassationshof eine erste Verurteilung von Schmidheiny wegen Verjährung aufgehoben. Doch es laufen weitere Verfahren. 2019 fasste Schmidheiny von einem Turiner Gericht eine Strafe von vier Jahren Gefängnis wegen schweren Totschlags an einem Arbeiter im Eternit-Werk von Cavagnolo. Das Urteil ist nicht rechtskräftig, eine weitere Verhandlung vor der zweiten Instanz folgt.
Die Hinterbliebenen von Asbestopfern in Italien wollen …
DIE ASBEST-STADT CASALE
Im Falle von Bagnoli hatte die Staatsanwältin wegen vorsätzlicher Tötung von acht Personen sogar 23 Jahre und 11 Monate gefordert. Die Geschworenen gingen jedoch weniger weit. Ex-Unternehmer Stephan Schmidheiny hat jetzt Berufung angekündigt, wie immer bei seinen Prozessen in Italien. Er habe nicht die Absicht, je eine italienische Zelle von innen zu sehen, hatte er schon früher einmal verlauten lassen.
Genau dies wollen aber zahlreiche Hinterbliebene von Asbestopfern erreichen. Der Milliardär soll für den Tod von Arbeitern büssen, die dem Krebs durch Asbest zum Opfer fielen und noch immer fallen.
Als gravierendster Fall gilt jener von Casale Monferrato im Piemont, wo sich das grösste italienische Eternit-Werk befand. Es steht der Tod von 392 Personen zur Diskussion. Die Stadt Casale war als Asbeststadt berüchtigt und vom Asbeststaub kontaminiert. Italienische Medien sprechen von einem «Massaker», das immer noch andauere. Denn immer noch erhalten jedes Jahr Menschen die typische Mesotheliom-Diagnose, eine Art Brustfellkrebs. Das Verfahren soll nächsten Herbst vor ein Schwurgericht in Novara kommen. Besonders darauf gespannt ist der frühere CGIL-Gewerkschafter Bruno Pesce. Er ist die treibende Kraft hinter Afeva, dem italienischen Verband der Asbestopfer. Dieser berät seit Jahrzehnten Betroffene und informiert über den Stand der Aufarbeitung (Infos zum Verband: afeva.it).
… dass Milliardär Stephan Schmidheiny für den Tod von Arbeitern büssen muss.
SCHWEIZ: 2000 ASBEST-TOTE
Nichts zu befürchten hat Stephan Schmidheiny dagegen in der Schweiz. Alle Versuche, ihn für den Tod von erkrankten oder verstorbenen Asbestarbeitern haftbar zu machen, scheiterten an der gesetzlichen Verjährungsfrist. Diese betrug in der Schweiz bis vor kurzem nur gerade zehn Jahre. Nicht zuletzt wegen des Eternit-Skandals setzte das Parlament die Frist auf zwanzig Jahre hinauf, die seit 2020 gilt. So kommt es, dass Stephan Schmidheiny nicht als Verursacher einer industriellen Katastrophe dasteht, sondern sich im Ruf eines Klimaretters sonnen darf. Seine Stiftung Avina fördert mit viel Geld Forschungsprojekte im Bereich nachhaltiger Ernährung.
Über Mangel an Geld muss dagegen die beim Gewerkschaftsbund domizilierte Stiftung EFA klagen. Sie betreibt den Entschädigungsfonds für Asbestopfer in der Schweiz. Für dessen Schaffung im Jahr 2017 hat sich insbesondere Ex-Unia-Präsident Vasco Pedrina eingesetzt. Der Fonds zahlt dort Beiträge, wo die Suva nicht einspringt. Die Wirtschaft hatte erst namhafte Beiträge an den Fonds zugesichert, aber gekniffen, sobald das Thema wieder aus den Schlagzeilen war. So muss man mit einem Bruchteil der erwarteten Gelder für die Opfer auskommen. Rund 2000 Menschen sind bis heute in der Schweiz an asbestbedingtem Krebs gestorben. Und jedes Jahr sterben weitere, da es Jahrzehnte dauern kann, bis dieser tückische Krebs ausbricht.