Christian Smalls ist Präsident der ersten Gewerkschaft im Bezos-Konzern:
Der Amazon-Bändiger

Er hat’s geschafft! Dem Amazon-Büezer und ­Rapper Chris Smalls ­gelang der gewerkschaftliche Durchbruch beim Online-Giganten.

CHRIS SMALLS: Der ehemalige Amazon-Mitarbeitende gründete die unabhängige Gewerkschaft «Amazon Labor Union» (ALU), bezwang den Online­konzern und schrieb damit Gewerkschaftsgeschichte. (Foto: Getty)

Chris Smalls (33) hat immer einen lockeren Spruch wie diesen drauf: «Wir arbeiteten hart, hatten Spass und schrieben Geschichte.» Er ist jetzt der grosse Held der US-Arbeiterbewegung. Denn er zwingt Milliardär und Amazon-Besitzer Jeff Bezos an den Verhandlungstisch. Bezos will keine Gewerkschaften im Haus. Er bekämpft sie mit viel Geld und übelsten Methoden – Drohungen, Einschüchterung, Lügen. Doch all dies nützte nichts im Amazon-Warenzentrum von Staten Island südlich von New York.

Dort arbeiten fast 5000 Leute unter denselben miesen Bedingungen wie in allen Amazon-Lagern: Totalüberwachung, Stress, Hetzerei, Tieflöhne. Unter ihnen auch Chris Smalls. Der Afroamerikaner kennt den Laden. Seit 2015 chrampft er schon bei Amazon. Während der Pandemie platzte ihm der Kragen. Die Manager täten viel zu wenig, um Ansteckungen zu verhindern, fand er. Und half im März 2020, eine Protestpause zu organisieren. Gleichentags wurde er gefeuert.

«Wir danken Jeff Bezos, dass er im Weltraum war. In dieser Zeit haben wir hier unten eine Gewerkschaft gegründet.»

GEWERKSCHAFTS-BARBECUE

Da schaltete Smalls auf Kampf um. Er gründete im April 2021 die unabhängige Gewerkschaft «Amazon Labor Union» (ALU), erstellte eine Website und startete ein Crowdfunding. Innert sechs Wochen kamen bereits 4500 Dollar rein, später noch viel mehr. Geld von Arbeitskolleginnen und -kollegen, die alle unter dem Joch von Bezos ächzen. Und die wohl nur darauf gewartet hatten, dass es einer den Amazon-Chefs mal so richtig zeigt. Elf Monate lang sass Smalls Tag für Tag in einem kleinen Zelt an der Bushaltestelle beim Warenzentrum. Er briet Barbecues, redete mit den Leuten und sammelte Unterschriften. Gemäss US-Arbeitsgesetz muss ein Arbeitgeber eine Abstimmung im Betrieb durchführen, wenn mindestens 30 Prozent eine Gewerkschaftsvertretung verlangen.

Viele Büezerinnen und Büezer bei Amazon kannten Smalls persönlich. Und Smalls sie. So kamen die Unterschriften zusammen. Als ehemaliger Rapper hat er immer einen träfen Kommentar parat. Zum Beispiel: «Wir danken Jeff Bezos, dass er im Weltraum war. In dieser Zeit haben wir hier unten eine Gewerkschaft gegründet.» Dieses Bonmot wird in die US-Gewerkschaftsgeschichte eingehen. So wie der klare Sieg seiner ALU bei der Abstimmung vom 1. April: 2654 Stimmen für die Gewerkschaft, 2131 dagegen. «Gratuliere, Jeff Bezos!» so Chris Smalls’ cooler Kommentar auf Twitter. Amazon will das Resultat rechtlich anfechten und die Abstimmung wiederholen lassen.

RASSISTISCHE MANAGER

Wieso konnte der «David Smalls» gegen den «Goliath Amazon» gewinnen? Weil seine neue «Amazon Labor Union» konsequent von unten agierte statt von oben. Will heissen: Was zählt, ist die Basis. In der ALU, die Smalls jetzt präsidiert, ist er der einzige Funktionär. Alle anderen Mitglieder arbeiten bei Amazon oder sind Ehemalige. So ist diese Gewerkschaft «bi de Lüüt» – und auch ein Spiegel der Amazon-Arbeitnehmenden: vorwiegend jung, bunt und multiethnisch. So wie Smalls selber: Mit seinem Piratenkopftuch, der dunklen Sonnenbrille, den Goldketten um den Hals und dem knallroten Outfit sieht er eher aus wie eine Mischung aus Rap-Star und Black-Panther-Aktivist als wie ein Gewerkschaftsfunktionär.

Smalls entlarvte in seiner Kampagne auch den grassierenden Rassismus im Amazon-Konzern. Mehrmals hatte er sich im Warenzentrum für eine leitende Funktion beworben. Immer war er abgeblitzt. Die weissen Manager stuften den Afroamerikaner als dumm und ungebildet ein («not smart or articulate»). Das enthüllten geleakte E-Mails aus der Chefetage. Sie glaubten, mit ihm als Gegner leichtes Spiel zu haben. Ein Irrtum. So ist der Sieg an der Urne für Smalls auch eine persönliche Genugtuung als Afroamerikaner.

Die grosse Warenhausgewerkschaft RWDSU hatte letztes Jahr erfolglos versucht, die Arbeitnehmenden im Amazon-Verteilzentrum von Bessemer im US-Staat Alabama zu organisieren (work berichtete). Es war ein Showdown mit Dutzenden von Funktionären, viel Geld, Stars und medialem Tamtam. Aber ohne die von Amazon eingeschüchterten Büezerinnen und Büezer, die Angst hatten, ihren Job zu verlieren, und daher mehrheitlich Nein stimmten. Demgegenüber gewann Smalls den Kampf in New York mit nur 23 Freiwilligen aus der Amazon-Belegschaft. Derrick Palmer ist ein Weggefährte von Smalls seit den Anfängen der Kampagne. Palmer zieht Bilanz: «Unser Ansatz ist eben besser.» Der Ansatz lautet ganz einfach: «Du musst drin sein, bei den Leuten. Nur so kannst du sie verstehen.»

Amazon geknackt: Smalls macht Schule

Der Sensationserfolg von Chris Smalls und seiner «Amazon Labor Union» (ALU) hat die Mitarbeitenden des Onlinekonzerns er­mutigt. Ende April steht in einem weiteren Verteil­zentrum in New York eine Abstimmung über eine Gewerkschaftsvertretung an. Auch im Verteilzentrum Bessemer (Alabama) geht der Kampf weiter. Zweimal lehnten die Beschäftigten eine Gewerkschaft ab. Doch nun findet eine Untersuchung wegen Manipulationsvorwürfen durch das Management statt. In New York verhandelt die ALU jetzt über bessere Arbeitsverträge. Speziell verlangt sie einen Stop der Hire-and-fire-Praktiken während der Verhandlungen.

1 Kommentare

  1. Gottardo 29. April 2022 um 13:11 Uhr

    Genau solche Menschen brauchen wir. Mutig, respektvoll, inteligent und kämpfen für die Sache. Die Schweiz hat sie auch, sie sind zu wenig eigen💪💪💪💪

Schreibe einen Kommentar

Bitte fülle alle mit * gekennzeichneten Felder aus.