Die anziehende Teuerung führt zu einer völlig neuen Ausgangslage bei den Lohnverhandlungen. Deshalb fordert die Unia jetzt Lohnerhöhungen über den Teuerungsausgleich hinaus.
HEISSBEGEHRT, ABER SCHLECHT BEZAHLT: Die Löhne im Gastgewerbe gehören zu den niedrigsten der Schweiz. Kein Wunder, haben viele Mitarbeitende die Nase voll und kehren der Branche den Rücken zu. Das Resultat: akuter Personalmangel. (Foto: Keystone)
Neben der offiziellen Teuerung kommt die Kaufkraft noch weiter unter Druck, weil Krankenkassenprämien und Mietpreissteigerungen nicht im offiziellen Index berücksichtigt sind. Gehen wir von einer Jahresteuerung von mindestens 2 Prozent aus und einem Anstieg der Krankenkassenprämien im zweistelligen Bereich, wird die Lage für Lohnabhängige dramatisch. In den laufenden und anstehenden Lohnverhandlungen fordert die Unia deshalb neben dem Teuerungsausgleich «signifikante Lohnerhöhungen». Und zwar dringend! Unia-Chefin Vania Alleva: «Viele Arbeitgeber verweigerten in den letzten Jahren substantielle Lohnerhöhungen. Sie gaben die Produktivitätssteigerungen schlicht nicht weiter an die Arbeitnehmenden.» Geradezu extrem sei das bei den Tieflöhnen. Alleva: «Diese stiegen zwischen 2016 und 2020 gerade mal um 0,5 Prozent. Für viele wird die Lage jetzt existentiell bedrohlich.»
«Für viele wird die Lage jetzt existentiell bedrohlich!»
Die Unia fordert deshalb jetzt Folgendes in ihren Branchen:
Im Bau: Die Auftragsbücher der Baumeister sind seit Jahren voll. Gleichzeitig nimmt das Verhältnis von Arbeitenden zum Bauvolumen ab. Das heisst: höhere Produktivität durch immer mehr Zeitdruck und Stress für die Bauleute. Konkret fordert die Unia bei den Verhandlungen über den neuen Landesmantelvertrag (LMV) den vollen Teuerungsausgleich plus ein Prozent für die gesteigerte Produktivität der letzten Jahre. Auf einen Durchschnittslohn macht das auf Basis der aktuellen Teuerungsprognose rund 180 Franken pro Monat aus.
Im Detailhandel: Die Branche hat sich im allgemeinen gut von den Folgen der Pandemie-Bekämpfung erholt. Coop und Migros vermelden beide Gewinne von je deutlich über einer halben Milliarde Franken. Ein Ausgleich der Teuerung ist das mindeste für die ganze Branche und auch die Anhebung der im Vergleich tiefen Mindestlöhne. Dort, wo es möglich ist, wie etwa bei Migros und Coop, müssen deutliche Lohnerhöhungen über die Teuerung drinliegen und auch die Anhebung der Mindestlöhne, insbesondere für das qualifizierte Personal.
In der Logistik und dem Onlinehandel: Sie gehören zu den Profiteurinnen der Coronakrise, doch statt gute Arbeitsplätze zu schaffen, liefern sich die Unternehmen auf dem Buckel der Arbeitenden einen aggressiven Preiskampf. Es gibt immer mehr prekäre Arbeitsverhältnisse. Die Unia kämpft für Gesamtarbeitsverträge und Lohnerhöhungen von 1 Prozent über die Teuerung hinaus.
Im Gastgewerbe: Jetzt, wo die Corona-Massnahmen aufgehoben sind, setzt eine starke Erholung der Branche ein. Gebremst wird sie durch den Personalmangel. Gezwungenermassen und verständlicherweise haben sich viele ehemalige Gastro-Beschäftigte in der Coronakrise umorientiert. Neues Personal zu finden gestaltet sich schwierig. Die Arbeitsbedingungen sind hart, und die Löhne im Gastgewerbe gehören zu den niedrigsten der Schweiz. Bereits vor der Pandemie fielen Lohnerhöhungen unterdurchschnittlich aus. Mit faireren Löhnen und besseren Arbeitsbedingungen würde die Branche auch wieder Personal finden. Die Unia fordert konkret den Ausgleich der Teuerung und generell 70 Franken mehr Lohn pro Monat. Ausserdem müssen die Mindestlöhne insbesondere für das qualifizierte Personal angehoben werden.
Im Gewerbe: Hier ist in den Gesamtarbeitsverträgen (GAV) zum Teil der automatische Teuerungsausgleich erreicht. Übersteigt allerdings die Teuerung eine gewisse Schwelle, sehen die GAV Verhandlungen vor. Die Schwellen liegen zwischen 1 und 2 Prozent. Bei einer so hohen Teuerung, wie sie sich jetzt für dieses Jahr abzeichnet, muss die Unia also trotz dieser Klauseln den Teuerungsausgleich verhandeln. Im Ausbaugewerbe sind die Arbeitnehmenden wegen der ständig wechselnden Baustellen auf das private Fahrzeug besonders angewiesen und leiden darum unter den hohen Treibstoffpreisen. Wegen all dieser Faktoren und der guten Auftragslage der Firmen fordert die Unia die Anhebung der effektiven Löhne und der Mindestlöhne um 2,5 bis 3 Prozent.
In der Industrie: Ein bedeutender Teil der GAV im Industriesektor sieht ebenfalls einen automatischen Teuerungsausgleich vor. So zum Beispiel der GAV für die Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (MEM). Und auch jener bei Stadler Rail und in der Uhrenbranche. Diese Verträge haben Signalwirkung für Verhandlungen auf betrieblicher Ebene dort, wo kein GAV greift. In der kommenden Zeit laufen einige wichtige Verträge in der Industrie aus. Hier wird der Lohnschutz in verschiedenen Formen eine der Hauptforderungen der Unia sein: Es geht um höhere Löhne, höhere Mindestlöhne, um den Kampf gegen geschlechtsspezifische Lohndiskriminierung und die Einführung von Mindestlöhnen für Hochqualifizierte.