Jean Ziegler
Ernesto Che Guevara, der argentinische Arzt und Kommandant der Befreiungsarmee Boliviens, war asthmakrank. Im September 1967 befanden sich die Überlebenden seiner Guerrilla militärisch in einer desolaten Lage. Sie waren gesundheitlich geschädigt und hatten nicht genug zu essen.
Die Eliteregimente der bolivianischen Armee hatten mit Unterstützung von Agenten der nordamerikanischen CIA das trockene, dünnbesiedelte Gebiet im Südosten Boliviens, in dem die Guerrillakämpfer seit mehr als zwei Jahren operierten, nahezu vollständig eingeschlossen.
In der Zeitung «El Deber» veröffentlichte Mario Terán einen Dankesbrief an das kubanische Volk.
«BLEIB RUHIG UND ZIEL GUT». An der Carretera Central, der Strasse, die die Hauptstadt La Paz mit der tropischen Wirtschaftsmetropole Santa Cruz de la Sierra verbindet, liegt das Dorf Samaipata. In der dortigen Apotheke wollte Guevara dringend benötigte Medikamente gegen seine erstickenden Asthmaanfälle kaufen.
Westlich der Carretera beginnen die von Minen durchsetzten Urwälder von Cochabamba. Mehrere Guerrilleros drängten Guevara, bei den aufständischen Minenarbeitern Hilfe und Schutz zu suchen. Che lehnte ab: «Wir kehren zurück an den Rio Grande. Den hungrigen Bauern und ihren Familien haben wir versprochen, dass wir bis zum Tod für ihre Befreiung kämpfen werden.»
Einige Wochen später zerschmetterte in der Quebrada del Yurio, einer Schlucht zwischen zwei Bergketten, die Kugel eines bolivianischen Rangers den rechten Arm Guevaras. Er wurde gefangen genommen und mit zwei Kameraden in die kleine Schule des Dorfes La Higuera gebracht. Dort wurde er in der Nacht vom 8. auf den 9. Oktober vom Unteroffizier Mario Terán mit einem Sturmgewehr der Schweizer Firma SIG Neuhausen erschossen.
Terán gab später zu Protokoll: «Ich trat in den dämmrigen Raum. In diesem Augenblick sah ich Che, gross, sehr gross, riesig. Seine Augen leuchteten hell. «Bleib ruhig», sagte er zu mir. «Und ziel gut. Du wirst einen Menschen töten.»
DIE RACHE. Kubanische Rächer und europäische Internationalisten verfolgten in den nachfolgenden Jahren die an der Ermordung Ches beteiligten Täter. Der damalige bolivianische Staatspräsident und Luftwaffengeneral René Barrientos stürzte in einem brennenden Hubschrauber zu Tode. Garry Prado, Hauptmann der Ranger-Einheit in La Higuera, überlebte knapp ein Attentat und ist seitdem gelähmt. Der Geheimdienstchef Roberto Quintanilla Pereira wurde als Generalkonsul nach Hamburg versetzt. Die deutsch-bolivianische Internationalistin Monika Ertl erschoss ihn am 1. April 1971 in seinem Büro. Nur Mario Terán blieb unversehrt. Die CIA behütete ihn.
Trotzdem ist sein Schicksal erstaunlich. Tag und Nacht quälten ihn Gewissensbisse. 2005 wurde erstmals in der Geschichte des Kontinents ein Indigener, der Aymara Evo Morales, zum neuen bolivianischen Staatschef gewählt. Kubanische Ärzte kamen ins Land. Sie operierten kompetent und gratis den grauen Star. Auch Mario Terán verdankt ihnen sein Augenlicht. In der Zeitung «El Deber» veröffentlichte er einen Dankesbrief an das kubanische Volk.
Mario Terán ist dieser Tage 80jährig in seiner Heimatstadt Santa Cruz an Prostatakrebs verstorben.
Jean Ziegler ist Soziologe, Vizepräsident des beratenden Ausschusses des Uno-Menschenrechtsrates und Autor. Sein im letzten Jahr im Verlag Bertelsmann (München) erschienenes Buch Die Schande Europas. Von Flüchtlingen und Menschenrechten kam jetzt als Taschenbuch mit einem neuen, stark erweiterten Vorwort heraus.