Der Riri-König

Marie-Josée Kuhn, Chefredaktorin work

Riri, das ist wie Maggi: ein Markenname fürs Produkt. Riri für Reissverschlüsse, made in Switzerland. In der Riri-­Fabrik in Mendrisio im Tessin, dem Riri-Hauptwerk, pro­duzieren heute noch 200 Mitarbeitende für die ganze Welt. Es sind vor allem Frauen, vor allem italienische Grenz­gängerinnen. Zum Stundenlohn von 15 Franken 90 brutto. Doch nicht der Lohn ist es, der sie zum Streiken brachte. Es waren Rüpel-Chefs und haarsträubende Arbeitsbedingungen in der Fabrik. Und ihr Streik hat sich gelohnt, wie work-Redaktor Jonas Komposch recherchiert hat. Eine richtige Kopf-hoch-Geschichte!

Aber auch die Geschichte dahinter hat’s in sich. Denn sie ist ein fast unglaubliches Stück Schweizer Industriegeschichte. Im Mittelpunkt: Riri-König «Dr. iur. Kaufmann» Martin O. Winterhalter, geb. 1889, aus St. Fiden SG. Stichwort: Wer hat’s erfunden? Richtig, wir Ricolas!

Bereits während seines Stu­diums produziert und vertreibt der Mann mit dem Clark-Gable-Schnäuzchen Hernienbänder. Doch erst 1923 schlägt seine Sternstunde: Winterhalter kauft dem Schweden Gideon Sundbäck ein Reissverschluss-Patent ab, obwohl Sundbäcks Reissverschlüsse nicht wirklich funktionieren. Und alle langen sich an den Kopf. Man und frau trägt noch Knöpfe. Und Häkchen. Winterhalter optimiert, lässt produzieren und patentieren: Die Marke «Riri» ist geboren, benannt nach dem «Rippe-Rille-Prinzip».

RIRITA. Winterhalters Aufstieg ist jetzt unaufhaltsam. 1935 verlegt er seine erste Produktionsstätte von Deutschland ins Tessin. In Morcote kauft er eine Villa mit 33 Zimmern und einem Park. Seine Villa «Ririta»! Frauen, Pferde, Geld: Winterhalter lebt als Lebemann in Saus und Braus. Er ist ein kreativer Kopf, aber auch ein Exzentriker. Hoch zu Ross reitet er von Morcote nach Mendrisio in die Fabrik. Hat er die Spendierhosen an, wirft er bündelweise Banknoten aus dem Fenster seines Direktionsbüros. Und unten, im Fabrikhof, jagen die Arbeiterinnen und Arbeiter nach dem Geldsegen. Das gefällt nicht allen. Schon gar nicht ­Winterhalters Schwester. Die Familie ist streng katholisch, Winterhalters Bruder sogar Pater im Kloster Disentis. Aber das kümmert den eher weltlich orientierten Martin nicht. Er erfüllt das Pflichtsoll an «Sünden» grad für die ganze Familie. Gleichzeitig läuft’s geschäftlich rund. Lizenzen und inzwischen mehr als 160 Patente: der Reissverschluss-König ist geboren. Die internationale Boulevardpresse berichtet euphorisch. Doch da sind auch Visionen.

RIRI-GRÜNDER: Martin O. Winterhalter. (Foto: Getty)

JUNGFRAU MARIA. Am Steuer erscheint Winterhalter die heilige Jungfrau Maria. Er crasht. Doch die Party geht weiter: je älter er wird, desto jünger sind seine Liebhaberinnen und Sekretärinnen. Bis seine Schwester die Handbremse zieht: sie klagt vor Gericht und fordert, ihr Bruder müsse bevormundet werden. Sein Verhalten gefährde sein Vermögen und sein Leben. Das Gericht gibt ihr recht. Am 16. Januar 1949 wird der Riri-König verhaftet, betäubt und in die Psychiatrische Klinik Burghölzli verfrachtet. Dia­gnose: depressive, manische und paranoide Züge. Der Beginn einer Schizophrenie. Doch Winterhalter kommt mit Hilfe seines Pater-Bruders raus aus der Klinik. Der bewundert den wilden Bruder und hält zu ihm. Der Reissverschlusss-König wird in der Gemeinde Disentis bevormundet. Diese verspricht sich zusätzliche Steuereinnahmen durch den Multimillionär. Und der Riri-König taucht wieder ein ins volle Leben. Doch als ihn schliesslich seine langjährige Geliebte verlässt, bricht er zusammen. Droht zu schiessen. Droht, die Riri-Fabrik zu zerstören. Es folgen Internierung, Flucht und die geschlossene Abteilung der Klinik Bellevue in Kreuzlingen TG. Winterhalter ergibt sich, er mag nicht mehr. Und stirbt dort 1961 mit 71 Jahren. Sein Vermögen vermacht er einer Stiftung, die seinen Namen trägt. Sie soll Kirche und Kultur unterstützen. Das Kloster Disentis renoviert seine Klosterschule. Winterhalters Schwester und sein Pater-Bruder sollen nur den Pflichtteil erhalten.

Sehen Sie auf «Playsuisse» den rätoromanischen Dok-Film mit deutschen Untertiteln über Riri-König Winterhalter von 2019: rebrand.ly/riri-koenig.