Katrin Bärtschi ist Briefträgerin in Bern und Gewerkschafterin.
Was ist politisch? «Auch das Persönliche!» analysierte die neue Frauenbewegung und beharrte darauf.
Am 14. Juni streikte die Briefträgerin nicht. Nicht direkt. Bei Arbeitsbeginn um halb sieben liess sie einen Spruch fallen, dass «wir Frauen eigentlich gar nicht hier sein sollten». «Ja, gehen wir gleich wieder?» fragte eine Kollegin scherzend. Dabei blieb es, und sie blieben.
«Dienst nach Vorschrift – oder eben gerade nicht.»
NACH VORSCHRIFT. Auf der Tour dann plötzlich der Einfall: «Ich könnte ja quasi streiken! Dienst nach Vorschrift – oder eben gerade nicht. Denn die Vorschrift lautet ja: Beeilung!» Statt wie gewöhnlich zu pressieren, beendete die Briefträgerin ihren Chehr nun in gemächlichem Tempo. War unterwegs, wie sie gerne unterwegs ist. Hob den Blick von Trottoir und Boden, vorbei an den altbekannten Kastenanlagen, schaute hoch und besah sich die Häuser, die Balkone und die Fassaden, die zu beachten sie sonst nie Zeit fand. Hielt hier einen Schwatz ab und dort einen, setzte sich auf eine Parkbank im Schatten der alten Bäume, trank einen Schluck Wasser aus der Flasche, sah einem jungen Hund beim Spielen zu und den Wolken beim Vorübertreiben. Das alles, ohne «Pause» zu scannen.
AHNUNG. Sie nahm ein Znüni und spürte der Ahnung nach, wie ihre Arbeit auch sein könnte und wie sie wohl früher war. Als «Performance» nur ein Fremdwort war. Aber «gleicher Lohn für gleiche Arbeit» leider auch. Als die Zustellung fast ausschliesslich durch Männer erfolgte, als die weiblichen Postmitarbeiterinnen bei der Heirat ohne ausdrückliche Arbeitserlaubnis des Ehemannes ihre Anstellung verloren. Hausarbeit war sowieso Frauenarbeit und als solche logisch gratis. Auch die unbezahlte Betreuung der Alten und Kranken fiel diskussionslos den Frauen zu.
«Manches war früher übler, zu vieles ist heut noch nicht gut oder eher wieder schlechter.» An solches und an die AHV-Revision dachte die Briefträgerin, während sie auf der Parkbank sass und ein dicker kleiner Spatz Brotkrumen vom Boden pickte.
Ist das politisch?
Kürzlich hasste die Briefträgerin a. D. die Post wieder einmal. Weil sie nämlich im Schalterraum der Hauptpost fast so lange anstehen musste wie an den Billettschaltern der SBB.
Katrin Bärtschi ist Briefträgerin in Bern und Gewerkschafterin. Wenn die Briefträgerin a. D. im Zusammenhang mit der gelben Riesin an die Zukunft denkt, kommt ihr unweigerlich die Parole in den Sinn:...
Katrin Bärtschi ist Briefträgerin in Bern und Gewerkschafterin. Am Anfang hatte ein halbes Jahr als «Privatbriefträgerin» in einem Bergdorf gestanden, als vom Posthalter zur Bewältigung der Hochsaison temporär Angestellte. Die...
