Der Erfolg der Schweizer Diplomatie

Jean Ziegler

Jean Ziegler

Donnerstag, 9. Juni 2022: ein heller Frühlingstag am East River in New York. Im riesigen Saal des Erdgeschosses des Uno-Wolkenkratzers sind die Botschafterinnen und Botschafter der 193 Mitgliedstaaten der Weltorganisation versammelt. Am frühen Nachmittag wird über die Mitgliedschaft der Schweiz im Uno-Sicherheitsrat abgestimmt. Das Resultat ist glänzend: 187 Staaten geben der Schweiz ihre Stimme. Damit wird die Eidgenossenschaft ab dem 1. Januar für zwei Jahre als eines der zehn nicht permanenten Mitglieder in der Uno-Weltregierung Einsitz nehmen. Ein beachtliches Ereignis, das allerdings in der Schweiz kaum zur Kenntnis genommen wurde.

KOMPETENT UND MUTIG. Das Glanzresultat ist ein Beweis der hohen beruflichen Kompetenz der Schweizer Diplomatinnen und Diplomaten. Unzählige oft zähe Verhandlungen mit den anderen Staaten sind der Wahl voraus­gegangen. Die Zusicherung der Schweizer Stimme in vielen Abstimmungen oder bei jeder der bevorstehenden Wahlen in die Exekutive einer der 23 Uno-Spezialorganisationen ebnete den Weg zum Sieg.

Viele einzelne hochkarätige Diplomatinnen und Diplomaten wären zu nennen. Mich beeindruckt besonders die Leistung von zwei sozialdemokratischen Frauen: Pascale Baeriswyl (SP Basel), frühere Staatssekretärin und seit zwei Jahren einflussreiche Uno-Botschafterin in New York, und Micheline Calmy-Rey (SP Genf), die hoch­angesehene ehemalige Aussenministerin. Sie hatte den Mut für die Kandidatur zum Sicherheitsrat, die 2011 offiziell deponiert wurde.

Warum ist die Mitgliedschaft so wichtig? Der Sicherheitsrat schafft Völkerrecht. Er verabschiedet pro Jahr zwischen 50 und 70 Resolutionen in seinem Kompetenzbereich, zu dem die Bewahrung des Weltfriedens und der Sicherheit, der Schutz der Menschenrechte, aber auch Zwangsmassnahmen gegen Aggressoren gehören.

AKTIVE NEUTRALITÄT. Im Parlament bekämpft die SVP aufs heftigste die weltoffene Bündnis- und Friedenspolitik der Schweizer Diplomatie. Denn sie verletze die Neutralität. Das ist natürlich Unsinn, weil sich die Ziele der aktiven Neutralität genau mit den Uno-Prinzipien decken. Auch ein anderer Vorwurf ist falsch: Angesichts des Vetorechts der fünf permanenten Ratsmitglieder sei der Einfluss der nicht permanenten Mitglieder verschwindend gering. – Die Praxis anderer neu­traler Staaten zeigt das Gegenteil. Zum Beispiel die Aktivitäten Österreichs: Unter Bundeskanzler Bruno Kreisky war es im Sicherheitsrat vielfach erfolgreich bei der Verteidigung der Rechte der Palästinenserinnen und Palästinenser. Oder Schwedens Engagement: Sein später ermordeter Ministerpräsident Olof Palme setzte den Schutz der Uno für die kurdischen Widerstandskämpfer durch.

Der grossartige Erfolg der Schweizer Diplomatie sollte uns alle mit Stolz erfüllen. Er wird den Bundesrat zwingen, regelmässig klare Entscheidungen zugunsten der weltweiten sozialen Gerechtigkeit, der Abrüstung und der Menschenrechte zu fällen. Das wird uns allen guttun.

Jean Ziegler ist Soziologe, Vizepräsident des beratenden ­Ausschusses des Uno-Menschenrechtsrates und Autor. Sein im letzten Jahr im ­Verlag Bertelsmann (München) erschienenes Buch Die Schande Europas. Von Flüchtlingen und Menschenrechten kam jetzt als Taschenbuch mit einem neuen, stark erweiterten Vorwort heraus.

1 Kommentare

  1. Peter Bitterli 5. Juli 2022 um 3:05 Uhr

    Von Diktaturen und failed states zwecks Vermehrung des Gewäsches gewählt in ein zahnloses Gremium. Weltregierung und Völkerrecht. Wow!

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