Andreas Meyer war die Rache der Privatisierer für ihre Niederlage von 1898. Und so kam es denn auch heraus.
NEUE ALTE BESCHEIDENHEIT: Der neue SBB-Chef Vincent Ducrot (links) setzt wieder auf Sicherheit, Pünktlichkeit und Sauberkeit. Ähnlich wie der frühere SBB-Generaldirektor Benedikt Weibel (rechts) und ganz anders als Abkassierer Andreas Meyer (Mitte), für den das SBB-Kerngeschäft eher Nebensache war. (Fotos: Keystone)
Jahrzehntelang hatten die SBB Generaldirektoren. Sie waren mächtig und mächtig stolz auf «ihre» Bahnen. Sie schufen und pflegten den «Stolz der Schweiz». Sie wollten Menschen und Waren von A nach B bringen, technisch exzellent, pünktlich und sicher. Die letzten hiessen Werner Latscha, Hans Eisenring und Benedikt Weibel. Sie sahen ihren Auftrag darin, die SBB technologisch und betrieblich auf dem bestmöglichen Stand zu halten. Und auch zu den Bähnlern und später den Bähnlerinnen schauten sie grundsätzlich gut – dank den starken Gewerkschaften.
Und dann kam 2007 Andreas Meyer.
EIN CEO
Meyer wollte nicht mehr Generaldirektor sein, sondern «CEO». Seine Vertragsunterschrift liess er sich mit 1,3 Millionen vergolden, «Umzugsunterstützung» eingerechnet. Die wollte er, weil er von Deutschland zurück in die Schweiz zügelte. Seine Wahl war ein politisches Zeichen: Die SBB sollten auf Markt getrimmt werden. Service public galt und gilt den Marktradikalen als Ärgernis. Für seine Schleifung schien ihnen Meyer der Richtige. Ihre Wahl fiel nicht zufällig auf ihn. Meyer war so etwas wie die Rache der Marktradikalen für ihre Niederlage vom 20. Februar 1898. Damals nahmen die Schweizer das «Bundesgesetz betreffend Erwerbung und Betrieb von Eisenbahnen für Rechnung des Bundes und die Organisation der Verwaltung der Schweizerischen Bundesbahnen» an. Damit wurden die Schweizer Bahnen verstaatlicht (siehe auch Seiten 10 und 11).
Schlagzeilen machten die SBB unter Meyer vor allem mit Schienenschäden …
«VERORDNETER KAHLSCHLAG»
In Deutschland war Meyer Chef bei der Deutschen-Bahn-Tochter «DB Stadtverkehr». Diese betreibt unter anderem die Berliner S-Bahn. Zwei Jahre nach Meyers vergoldeter Zügelei in die Schweiz brach in Berlin das System komplett zusammen. Während Monaten ging kaum mehr etwas. Ursache: Während der Meyer-Jahre war profitgetrieben der Unterhalt der Infrastruktur vernachlässigt worden. So sehr, dass die Aufsichtsbehörden die Züge schliesslich aus dem Verkehr zogen und zur Überprüfung und Überholung in die Werkstätten schickten. Zeitweise waren nur noch 163 von 634 Zügen betriebssicher.
Zu den Ursachen des Berliner Debakels zählte die wirtschaftsnahe deutsche Zeitung «Die Welt» einen «verordneten Kahlschlag, der ins Chaos führte». Und führte als Beleg unter anderem den Abbau der Unterhaltskapazitäten in den Werkstätten an. Von sieben waren drei gestrichen worden – und entsprechend Stellen abgebaut.
Beim Zusammenbruch der Berliner S-Bahn war Meyer schon in der Schweiz und wollte auch hier bei den Werkstätten sparen. Doch er hatte nicht mit den Büezern in Bellinzona gerechnet. Die streikten nämlich 33 Tage lang für ihre «Officine». Meyer flog ein – und wurde ausgepfiffen. Die Werkstätten in Bellinzona blieben, und Meyer musste seine Pläne aufgeben. Fortan mied Meyer die SBB-Büezer. Viel lieber trieb er sich zwangsduzend durch Workshops und Projektgruppen. Wollte sich mit dem Dumping-Fahrdienst Uber ins Bett legen und träumte von Drohnen-Lufttaxis. Derweil sank die Kundinnen- und Kundenzufriedenheit genauso wie jene der SBB-Mitarbeitenden.
…klemmenden Türen und unzufriedenen Mitarbeitenden.
DIE MILLION
Schlagzeilen machten die SBB unter Meyer vor allem mit Schienenschäden, klemmenden Türen, geschlossenen WC, dreckigen Zügen, fehlenden Lokführerinnen und -führern und der völlig missratenen Beschaffung von neuen Doppelstockzügen. Trotzdem gehörte Meyer mit über 1 Million Franken jahrelang zu den Top-Abkassierern bei den bundesnahen Betrieben. Als Bundesrätin Simonetta Sommaruga 2019 mal etwas Mutiges tun und Meyers Lohn unter eine Million drücken wollte, sprang diesem SBB-Verwaltungsratspräsidentin Monika Ribar zur Seite. Sie sah «ein Risiko», dass ein Nicht-mehr-Millionen-Meyer die SBB sonst verlassen könnte. Der Bundesrat knickte ein. Ribar übrigens hat’s nicht nur mit M wie Meyer-Millionen, sondern auch mit M wie Maserati. Für ihren Boliden liess sie sich beim Bahnhof Rüschlikon ZH einen ehemaligen Mobility-Parkplatz zum Privatparkplatz ummalen. Sie wohnt 900 Meter Fussweg vom Bahnhof entfernt. Oder 6 Minuten zu Fuss und 2 Minuten Busfahrt. 9 Minuten länger hätte ihr ehemaliger CEO Meyer von seinem Wohnort ins SBB-Hauptquartier gebraucht. Er nahm des öfteren lieber das Taxi, wie er einst in einem Interview sagte.
P. S. Mit Vincent Ducrot haben die SBB seit April 2020 einen neuen CEO. Und wieder einen «von der Bahn». Bis jetzt verhält er sich wie ein Generaldirektor. Zum Antritt sagte er, er sei «glücklich und stolz» über seine Ernennung. Und: «Ich bin nur einer der vielen Leute, die dieses System erfolgreich machen.» Er setzt auf Sicherheit, Pünktlichkeit und Sauberkeit. Und motivierte Mitarbeitende. Im vergangenen Jahr verdiente er 757’382 Franken.