Uber vs. Gewerkschaften: Der grosse Showdown in Genf
Jetzt muss Uber endlich zahlen

Seit Ende Juni verhandeln in Genf Vertreter des US-Konzerns Uber mit den Gewerkschaften. Nicht ganz freiwillig. Und mit einem ersten Sieg für die Fahrerinnen und Fahrer.

DAS SYSTEM UBER: Uber-Gründer Travis Kalanick (oben links) war gerngesehener Gast am WEF in Davos und konnte zur Durchsetzung seines Dumping-Modells auf mächtige Freunde zählen. Etwa auf Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron (oben rechts), damals noch Wirtschaftsminister. Während weltweit Taxifahrer und Uber-Fahrerinnen gegen den Ausbeuterdienst demonstrierten. Mit brennenden Reifen (in Frankreich, unten links) und Protestaktionen (in Zürich, Mitte). (Fotos: Keystione (4), Reuters (1), Unia (1), PD (1); Montage: Ninotchka.ch)

Es ist acht Uhr abends, eine Dreierdelegation der Unia betritt das Verwaltungsgebäude an der Place de la Taconnerie in Genf. Es sind der Uber-Fahrer Philippe Frezier, die Anwältin Orlane Varesano und Helena Verissimo de Freitas, Vize-Chefin der Unia Genf. Sie treffen an diesem denkwürden 28. Juni auf einen Vertreter und eine Vertreterin des US-Konzerns Uber, gegen den die Unia seit 2015 Dutzende Proteste und Prozesse geführt hat. Und der billiger ist als normale Taxis, weil er die Fahrerinnen und Fahrer schlecht und die Sozialabgaben gar nicht bezahlt.

Wenn es am 15. Oktober keine Einigung gibt, will der Kanton Genf Uber verbieten.

FAST EINE MILLION PRÄMIE

Die Runde trifft sich bereits zum zweiten Mal. Dabei ist auch eine Delegation der Gewerkschaft Sit und die Gastgeberin: Fabienne Fischer, grüne Regierungsrätin und Chefin des Wirtschaftsdepartements. Eine Woche zuvor starteten die Verhandlungen. Jetzt wollen die Gewerkschaften konkrete Zusagen. Sonst, das haben sie klargemacht, sehen sie für die Gespräche keine Zukunft.

Was folgt, ist ein hartes, langes Ringen. Fünfeinhalb Stunden. Und dann: eine Einigung, morgens um halb zwei. Mit drei handfesten Resultaten: Uber verpflichtet sich erstens, einen Garantiefonds von fünf Millionen Franken einzurichten, hinterlegt bei einem Genfer Notar. Als Sicherheit für ausstehende Löhne und Spesen von Fahrerinnen und Fahrern. Bis Ende August soll das Geld überwiesen sein.

Damit erfüllt der US-Konzern eine Hauptforderung der Gewerkschaften. Der Fonds verhindert, dass die Fahrerinnen und Fahrer mit leeren Händen dastehen, sollte sich Uber plötzlich aus dem Staub machen. Zweitens zahlt Uber, ebenfalls bis Ende August, allen rund 800 Genfer Fahrerinnen und Fahrern eine Prämie, abhängig von ihrem Arbeitseinsatz in den letzten sechs Monaten. Total 930’000 Franken. Für den Genfer Uber-Fahrer Maged Haridy ist das eine gute Nachricht. Er hat seit Ende Mai turbulente Zeiten erlebt.

PROTEST IN GENF: Uber-Fahrer fordern vom US-Konzern die Nachzahlung ihrer Löhne. (Foto: Unia)

MUNTER WEITER GETRICKST

Damals gab das Bundesgericht dem Kanton Genf recht und entschied: Uber ist ein Arbeitgeber. Ein bahnbrechendes Urteil, denn damit haben die Fahrerinnen und Fahrer Anrecht auf einen regulären Lohn und Sozialleistungen.

Am nächsten Tag liess der Kanton Genf die Uber-App sperren. Doch knapp eine Woche später gab er wieder grünes Licht. In einer umstrittenen Vereinbarung und ohne Einbezug der Gewerkschaften hatte sich Uber verpflichtet, Löhne und Sozialleistungen zu bezahlen. Kaum war die Sperre weg, griff Uber tief in die Trickkiste und präsentierte ein «Partnerunternehmen» namens MITC. Dieses werde die Fahrerinnen und Fahrer anstellen (work berichtete: rebrand.ly/rotekarte).

Uber-Fahrer Haridy hat bei MITC unterschrieben, um weiter seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können. Auf der Lohnabrechnung stehen jetzt die Stunden, die MITC bezahlt. Aber beim Fahren sieht er auf der Uber-App nur den Umsatz, der er erwirtschaftet. ­Früher sei es klar gewesen: «Uber hat vom Umsatz 27 Prozent abgezogen, der Rest war mein Einkommen. Jetzt ist völlig undurchsichtig, wie mein Lohn zustande kommt.» Sein Verdienst sei heute jedenfalls nicht besser als vorher. Das Problem: Derzeit zahlt MITC nur dann einen Lohn, wenn Haridy jemanden chauffiert. Wenn er wartet oder von einem Auftrag zurückfährt, bekommt er nichts. Doch das widerspricht den Regeln des Personalverleihs. Der Kanton Genf ordnete deshalb im Juni eine Schlichtung an, die allerdings keine Lösung brachte.

Deshalb ist die Einigung vom frühen Morgen des 29. Juni so wichtig. Denn als dritten Punkt enthält sie: Uber, die Gewerkschaften und der Kanton verhandeln weiter. Und mit einem klaren Fahrplan. Bis Ende August wird festgelegt, wie die Lohnnachzahlungen an die Fahrerinnen und Fahrer berechnet werden. Und bis Ende September die definitiven Arbeitsbedingungen beim Uber-«Partner­unternehmen» MITC.

Uber muss einen Garantiefonds von fünf Millionen Franken einrichten.

KANTON MACHT DRUCK

Ganz freiwillig haben sich die Uber-Manager nicht mit Unia und Sit an einen Tisch gesetzt. Der Kanton hat das Uber-Verbot nur suspendiert. Und jetzt eine Frist gesetzt: Wenn es bis am 15. Oktober keine Einigung gibt, wird Uber im Kanton verboten.

Helena Verissimo de Freitas von der Unia Genf ist zufrieden, dass sie jetzt endlich mit Uber über die Punkte, die für die Fahrerinnen und Fahrer wichtig sind, verhandeln kann. Denn wegen der vorschnellen Vereinbarung zwischen Uber und dem Kanton sei viel Zeit verloren gegangen: «Die Arbeit, die wir jetzt anpacken, hätten wir im Juni machen sollen!»

Und im Rest der Schweiz? Nach dem Bundesgerichtsurteil will eine Mehrheit von ihnen jetzt endlich aktiv werden, wie eine Umfrage der «Luzerner Zeitung» zeigt. Für den Kanton Bern sei demnach klar, dass Fahrerinnen von Uber und Uber Eats «als Angestellte zu behandeln» seien. Dies werde «ab sofort» auch kontrolliert. Ähnlich äussern sich Solothurn und Freiburg. Der Kanton Waadt verlangt von Uber, den Fahrerinnen und Fahrern einen Arbeitsvertrag auszustellen, sonst droht der Bewilligungsentzug. Noch nicht handeln wollen dagegen Zürich und Basel-Stadt: Sie warten auf ein weiteres Bundesgerichtsurteil zu den Sozialversicherungen, das noch hängig ist.

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