Tesla sollte die Autofabrik der Zukunft sein: grün, sauber, nachhaltig. Doch für die kalifornischen Büezer ist sie die Hölle. Denn sie arbeiten bis zum Umfallen.
Unter Druck: Arbeiter in der Fabrik in Fremont, Kalifornien. Tesla-Gründer Musk will die Produktion nächstes Jahr verfünffachen. (Foto: Getty Images / Reuters)
Was Jonathan Galescu erzählt, tönt krass: «Ich sah Leute zusammensacken. Sie lagen am Boden mit aufgeschlagenem Gesicht. Doch wir mussten weiterarbeiten.» Galescu war Techniker in der Elektroautofabrik des eigenwilligen und skrupellosen Milliardärs Elon Musk (siehe unten). Er berichtete der britischen Zeitung «Guardian» von höllischen Verhältnissen. Im kalifornischen Fremont arbeiten rund 6000 Büezer, darunter viele Hispanics. Hier laufen die schicken Modelle S vom Band, von denen auch Bundesrätin Doris Leuthard eines fährt. Kostenpunkt pro Stück: rund 80 000 Franken. Das Auto der Zukunft. Doch die Arbeitsbedingungen sind von vorgestern.
PAUKENSCHLAG
Bei der Einweihung im Jahr 2010 stand Tesla für grüne, saubere Jobs und den Aufbruch in eine strahlende, bessere Hightechzukunft ohne Öl, Lärm und Gestank. Jetzt steht der Name für Stress, Überstunden und krankmachende Arbeit.
Der Aufstand begann im Februar. Da schrieb der Arbeiter Jose Moran in einem Blog, er sei zwar stolz, für Tesla zu arbeiten. Aber die Löhne seien zu tief, die Arbeitszeiten zu lang und die Gesundheitsrisiken zu gross: «Tesla muss mit uns reden.» Ein Paukenschlag. Seitdem steht Strahlemann Elon Musk entzaubert im Regen.
MICKRIGE LÖHNE
Tesla zahlt Stundenlöhne von 17 bis 21 Dollar, so Moran. Der Durchschnitt in der USAutoindustrie liegt bei 29 Dollar. Weil das Management die Produktionszahlen ständig heraufschraubt, sind 60- bis 70-Stunden- Wochen keine Seltenheit. Einer berichtete gar von einem Monat Dauerarbeit ohne einen freien Tag, damit das Soll erreicht wird. Viele nähmen dies hin, um mehr zu verdienen und die teuren Wohnungen bezahlen zu können.
Die Löhne sind tief, die Gesundheitsrisiken hoch.
Moran schrieb: «Vor wenigen Monaten waren in meinem Team sechs von acht Leuten in ärztlicher Behandlung.» Tesla geriet noch mehr unter Druck, als Arztprotokolle publik wurden. Diese sind bei jedem Vorfall in der Fabrik obligatorisch.
Laut diesen Protokollen fuhren seit 2014 über hundert Mal Ambulanzen am Fabriktor vor. Sie transportierten Büezer mit Zusammenbrüchen, Atemnot, Schwindelgefühlen, Schwächeanfällen und anderen Beschwerden ab. Wegen missachteter Sicherheitsvorschriften musste Tesla bisher über 140 000 Dollar Busse bezahlen. Ein Bericht der Non-Profi t-Organisation Workforce wies nach, dass bei Tesla die Zahl der Gesundheitsvorfälle im Jahr 2015 um 31 Prozent höher lag als im Schnitt der US-Industrie. Und die Zahl der Ausfälle aufgrund von ernsthaften Gesundheitsschäden war doppelt so hoch.
FACTS SIND FACTS
Elon Musk reagierte auf die Vorwürfe mit Abwiegelung. Doch Facts sind Facts. Die horrenden Überstunden rechtfertigte er mit den roten Zahlen als Folge der hohen Investitionen. Dann verbot er allen Mitarbeitenden, mit den Medien zu reden. Schliesslich stellte er sich als Opfer einer böswilligen Kampagne der United Auto Workers (UAW) dar. Die Autoarbeitergewerkschaft versucht seit einiger Zeit, auch bei Tesla Fuss zu fassen. Sie will verhindern, dass die aufsteigende Branche mit ihrem revolutionären Potential unorganisiert bleibt. Mit Erfolg. Vertrauensleute haben inzwischen die Facebook-Gruppe «A fair Future at Tesla» aufgezogen.
Als nächstes peilt die UAW die Anerkennung als Sozialpartner an. Das ist bitter nötig. Denn Musk will die Produktionszahlen auf 500 000 Autos im Jahr 2018 verfünffachen. Das neue, günstigere Tesla-Modell 3 soll endlich schwarze Zahlen bringen und die ungeduldigen Investoren beruhigen.
Elon Musk: Maniac und Gewerkschaftsfeind
Skrupellos: Elon Musk (Foto: Reuters)
Niemand kannte Elon Musk (56), bis er im Internetboom Karriere machte, dank Wagnis-Kapitalisten, die das «nächste grosse Ding» nicht verpassen wollen. Diese versorgen mit viel Geld einen Mann, der mit seiner Vision einer grünen Wirtschaft hohe Profite verspricht. Selbst wenn er «spinnerte» Projekte wälzt wie etwa die bemannte Fahrt zum Mars. Musk hat sich als cleverer Geschäftsmann empfohlen. Als er 2002 seinen Internetzahlungsdienst Paypal an Ebay verkaufte, lupfte er 165 Millionen Dollar Gewinn heraus.
REVOLUTIONÄR. Durch seine Firmen SpaceX, SolarCity und Tesla haftet Elon Musk der Ruf eines Technorevolutionärs an, der scheinbar Unmögliches realisiert. Science-Fiction wird bei ihm Realität. Wie Bill Gates (Microsoft), Steve Jobs (Apple) oder Marc Zuckerberg (Facebook) stieg auch Musk zum Milliardär auf. Dies, obwohl seine Firmen nie grosse Gewinne schrieben, dafür aber massiv von staatlichen Subventionen und Steuerrabatten profitierten. Musk ist das Produkt eines entfesselten US-Finanzkapitalismus, welcher nicht mehr weiss, wohin mit dem Geld.
Hinter der grünen Fassade stecken menschliche Abgründe. Musk ist ein Getriebener, ein Maniac mit autistischen Zügen. Dies geht aus der Biographie von Ashlee Vance hervor. Er entspannt gerne mit Alkohol und Schlafmitteln und schreibt darüber auf Twitter. Musk fordert absolute Unterwerfung. Wer sie verweigert, wird entlassen. Dass in der Tesla-Fabrik geradezu frühkapitalistische Arbeitsbedingungen herrschen, kann da nicht verwundern. Der Sozialhistoriker Nelson Lichtenstein nennt Musk die «Karikatur eines Kapitalisten aus dem Jahr 1898». Gewerkschaften sind für Musk Saboteure auf dem Weg in die nachhaltige Zukunft.
RUDIMENTÄR. Jetzt bremst ihn die Autoarbeitergewerkschaft. Nach dem Skandal in der Tesla- Fabrik musste Musk die Arbeitssicherheit verbessern. Seit er den deutschen Autozulieferer Grohmann übernommen hat, stellt sich ihm auch die deutsche IG Metall entgegen. Grohmann zahlt Dumpinglöhne von 30 Prozent unter dem Niveau des Gesamtarbeitsvertrags. Bereits ist von einem Streik die Rede. Musk will um jeden Preis auf den Mars. Doch was zählt, sind die Verhältnisse auf der Erde. Das muss der Mann noch lernen.