Die Parlamentswahlen in Italien sorgen für hitzige Diskussionen. Welche Meinungen vertreten Italienerinnen und Italiener in der Schweiz? work hat nachgefragt.
VERFOLGEN DIE WAHL MIT GEMISCHTEN GEFÜHLEN: Maria Teresa Cordasco, Kristjan Gjeci, Daniela Ianni und Angela Siciliano (oben, v.l.). Antonio Ruberto, Alessandra Cesari und Ulder Ligi (unten, v.l.). (Fotos: Anita Vozza / Mara Truog / Severin Novacki / Adobe / ZVG (3))
Am 25. September wählt Italien ein neues Parlament. Prognostiziert ist ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen dem Rechtsblock von Giorgia Meloni (45) (siehe Text unten) und dem Mitte-links-Bündnis von Enrico Letta (56). Gewinnt Meloni, droht Italien die rechteste Regierung seit der faschistischen Diktatur Benito Mussolinis. Trotz dieser Tragweite sind laut Umfragen noch vierzig Prozent der Italienerinnen und Italiener unentschlossen, wen sie wählen werden. Und ob überhaupt. Dasselbe Bild zeigt sich bei den gut 25 000 italienischen Unia-Mitgliedern. Viele, die work befragt hat, haben noch keine Favoritin oder keinen Favoriten – sehr wohl aber eine klare Meinung zur Lage der Nation.
Uhrenarbeiterin Maria Teresa Cordasco (57) aus Lyss BE sagt: «Italien muss endlich zur Ruhe kommen. Das ständige Hickhack in der Politik blockiert jeden Fortschritt. Die Leute sind verunsichert und wütend.» Sie werde daher «eher links» wählen, aber nicht die Cinque Stelle, denen sie nicht vertraue. Gleich sieht es Daniela Ianni (51), die in Olten als Gewerkschaftssekretärin arbeitet: «Die allgemeine Unzufriedenheit wird von Melonis Rechtsradikalen schamlos ausgenutzt. Sie werden immer aggressiver und fremdenfeindlicher.» Iannis Stimme geht daher an Enrico Lettas Partito Democratico (PD) – «wahrscheinlich», wie sie ergänzt.
Der pensionierte Maurer Antonio Ruberto (64) hingegen wählt die Cinque Stelle von Ex-Ministerpräsident Giuseppe Conte (58). Dieser sei «der einzige ehrliche Kandidat», sagt Ruberto, der lange Unia-Baupräsident in Bern war. PD-Chef Letta sei eine schwache Figur: «Die Rechten manipulieren ihn, wie sie wollen. Und er macht sogar noch mit!» Und der Solothurner Ulder Ligi (84), der als Heizungstechniker längst pensioniert, aber als Gewerkschafter immer noch aktiv ist, sagt: «Der PD-Chef steht nicht auf der Seite von uns Arbeitern. Überhaupt ist die Linke Italiens tot.» Und Ligi steht dazu: «Ich werde wohl die Rechten wählen, auch wenn sie zu extrem sind.»
Viele haben das Vertrauen verloren.
HEFTIGE GRUNDSATZKRITIK
Anders die Zürcher Kellnerin Alessandra Cesari (49): «Niemals werde ich Meloni, Salvini oder Berlusconi wählen!» Sie werde ihr Kreuz wohl bei der Sinistra Italiana machen. Aber eigentlich behagen ihr diese Wahlen gar nicht. Sie seien «zu einer Art Spiel» verkommen. Die Regierungen würden mittlerweile fast im Zweijahresrhythmus zu Fall gebracht, wovon die politische Clique profitiere: «Die Parteien haben sich damit abgefunden, die Machtpositionen abwechselnd unter sich aufzuteilen.»
Das sieht auch der in Mailand aufgewachsene Bauarbeiter Kristjan Gjeci (32) so: «Die Politik in Italien ist eine Katastrophe, man übertrifft sich mit Lügen, die Menschen haben jegliches Vertrauen verloren.» Deswegen Meloni zu wählen käme aber auch Gjeci nicht in den Sinn. «Ich wähle niemanden», sagt er. Und er warnt: «Wenn sie so weitermachen, explodiert die Wut noch vor Weihnachten!» Ein Rezept gegen die Eskalation glaubt dagegen die Zürcher Köchin und Kunsthandwerkerin Angela Siciliano (55) zu kennen. Auch sie wird nicht wählen, dafür umso aktiver in Gewerkschaft und sozialen Bewegungen werden: «Mein Weg ist die direkte Aktion, die gegenseitige Hilfe, die konkrete Politik.»
Was ist jetzt das? Pfeifen im Walde oder Wahlkampf im falschen Land?