Der Baumeisterverband pokert hoch mit seinem Totalangriff auf den Landesmantelvertrag. Wohl zu hoch, wie die Stimmung auf der drittgrössten Baustelle des Landes zeigt.
Es kommt hart auf hart am Erscheinungstag dieser work-Ausgabe: Die Gewerkschaften Unia und Syna treffen zum fünften Mal in Folge auf den Schweizerischen Baumeisterverband (SBV). Das Ziel: die Aushandlung eines neuen Landesmantelvertrags für das Bauhauptgewerbe (LMV). Die Zeit drängt. Schon Ende Dezember läuft der bestehende Vertrag aus. Nur noch zwei weitere Sitzungen sind bis dahin geplant. Doch eine Einigung scheint noch völlig ausser Reichweite. So sagt Nico Lutz, Unia-Sektorleiter Bau: «Die Positionen liegen meilenweit auseinander. Denn die Forderungen des Baumeisterverbands sind so radikal wie nie zuvor!»
Die Baumeister scheinen an einer Lösung nicht wirklich interessiert.
ÄLTERE ARBEITER IM VISIER
Konkret wolle der SBV die gültige Arbeitszeitregelung einfach abschaffen. Planungssicherheit für Büezerinnen und Büezer gäbe es damit keine mehr. Lutz erklärt: «Wann gearbeitet wird und ob überhaupt, soll künftig allein der Chef bestimmen können – wenn er will, auch ganz spontan.» Arbeit auf Abruf sei aber nicht der einzige Wunschtraum des SBV. Auch die 50-Stunden-Woche wolle er einführen, zudem noch längere Arbeitstage im Sommer sowie eine schlechtere Vergütung von Überstunden.
Besonders abgesehen hat es der Verband offenbar auf ältere Bauarbeiter. Dazu Lutz: «Ausgerechnet jene, die ihr ganzes Berufsleben auf dem Bau verbracht haben, will der SBV jetzt leichter rauswerfen und dann in der tiefsten Lohnkategorie wieder anstellen können.» Das Fazit des Unia-Bauchefs ist daher klar: «Auf dieser Basis wird es mit uns keine Lösung geben!»
Heftige Kritik kommt auch von Johann Tscherrig, dem Bauverantwortlichen der Syna. Zwar hätten sich Gewerkschaften und Baumeister relativ rasch auf Verhandlungspunkte einigen können. Doch gebracht habe dies bisher wenig: «Sobald wir konkrete Massnahmen vorgeschlagen haben, sind die Arbeitgeber ausgewichen und haben vom Thema abgelenkt.» Mit dieser Taktik zeige der SBV, dass er «an Lösungen nicht wirklich interessiert» sei, sondern auf einen vertragslosen Zustand zusteuere.
REALITÄTSFERNE BAUMEISTER
Dieser brenzligen Situation ist man sich auf den Baustellen sehr wohl bewusst. Das zeigt ein Besuch beim derzeit drittgrössten Wohnbauprojekt der Schweiz.
«Tivoli Garten» heisst die Mega-Baustelle (Webcam: rebrand.ly/livebaustelle). Sie liegt in Spreitenbach AG, direkt neben dem «Shoppi Tivoli», dem ältesten und grössten Shoppingcenter des Landes. Gleich fünf Kräne ragen hier in die Höhe. Über 100 Bauleute sind am Werk. Sie sollen für die Credit Suisse bis im Herbst 2024 zwei 65-Meter-Hochhäuser mit total 445 Wohnungen fertigstellen, dazu ein Sockelgeschoss mit integrierter Tramhaltestelle, Gewerbeflächen und einem Kindergarten. Ein ambitionierter Zeitplan? «Absolut», sagt Chefpolier Xhenian Zani (42). Das Problem: «Ich soll die Türme möglichst tifig hochziehen, doch die Architekten kommen mit ihren Plänen oft gar nicht mehr nach!» Trotzdem sei bisher alles rundgelaufen. Weder Unfälle noch Überstunden habe es gegeben. Und auch im Hitzesommer sei man gut zurechtgekommen. Zani verrät, weshalb: «Wir haben dreimal mehr Pausen eingelegt als normal.» Das übrigens habe seine Arbeitgeberin, die Feldmann AG aus Bilten GL, voll unterstützt. Die Firma stellte zudem Gratis-Trinkwasser und Sonnencrème zur Verfügung. Und nicht nur das!
Baustellenmagaziner Adriano Coelho (55) fasste während der Mordshitze einen Spezialauftrag. Coelho sagt: «Ich war der Durstlöscher vom Dienst! Auf der ganzen Baustelle habe ich Wasserflaschen verteilt und die Kollegen zum Trinken animiert.» Über diesen Dienst seien sie schon sehr froh gewesen, sagt Chefpolier Zani. Was aber denkt er über die 50-Stunden-Woche, wie sie dem SBV vorschwebt? Zani lacht: «Das können sie grad vergessen! Unter diesen Umständen würden wir nämlich gleich zusammenpacken.» Ein Zehnstundentag sei schlicht zu viel: «Wo bleibt da die Familie?» fragt Zani. «Auf der Strecke!» antwortet ein Baukadermann, der nun dazustösst, aber anonym bleiben will. Doch auch er, der im Büro tätig ist, findet die SBV-Forderungen «völlig realitätsfern». Just in dem Moment ertönt unten an der Baustelleneinfahrt laute Latino-Musik.
STREIK OHNE GEGENSTIMME
Es ist das Bauteam der Unia Aargau-Nordwestschweiz, das mit einer Lautsprecheranlage aufgefahren ist und jetzt das Signal zur Mittagspause gibt. Aus allen Richtungen und Etagen strömen Arbeiter herbei. Für sie haben die Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter heute Infos über die harzigen LMV-Verhandlungen parat. Aber auch Bekömmlicheres steht bereit: Härdöpfelsalat und Grill-Güggeli. Gut siebzig Büezer langen herzhaft zu, während Baugewerkschafter Fernando Monteiro den Stand der Dinge durchgibt: «Kollegen, jetzt wird es konkret! Die Meister wollen es wirklich darauf ankommen lassen!» An den Festbänken herrscht unterdessen babylonisches Sprachgewirr. Portugiesisch und Italienisch dominieren, aber auch Albanisch wird gesprochen, zudem Französisch, Spanisch, Serbokroatisch, Slowakisch und manchmal auch Deutsch. Trotzdem verstehen sich die Kollegen – und verstanden haben sie schon längst: Hier geht es ums Eingemachte!
Nun ergreift Betonmaschinist Joaquim Silva (40) das Wort: «Habt keine Angst!» ruft er, «wenn wir geschlossen am gleichen Strick ziehen, werden wir gewinnen!» Silvas Worte sitzen, aber überzeugen muss er hier niemanden: Ohne ein einziges Gegenvotum stimmen die versammelten Bauarbeiter für einen Streik – falls die Meister nicht endlich zur Vernunft kommen sollten.
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