Warum schmelzen unsere Pensionskassenrenten wie Schnee an der Sonne? Die Antwort hat ein kritischer Dokfilm aus der Westschweiz. Ein echter Politkrimi.
UNBEQUEMER RÜCKBLICK: Eine Volksinitiative wollte 1972 den Ausbau der zweiten Säule verhindern. Doch SP und Gewerkschaften waren dagegen. Und lagen falsch damit, wie Ex-Bundesrätin Ruth Dreifuss heute sagt. (Foto: SRF)
Die zweite Säule wäre eigentlich eine Sozialversicherung. Doch sie ist zu einer Gewinnmaschine für die Versicherungskonzerne verkommen. Das Nachsehen haben die Arbeitenden: Das ist, kurz gefasst, die Botschaft von Pietro Boschetti und Claudio Tonetti. Die beiden Journalisten aus der Westschweiz gingen dem steten Verfall unserer Pensionskassenrenten nach. Und fanden einen wahren Politkrimi.
Ihr knapp einstündiger Dokfilm «Das Protokoll – die unbekannte Geschichte der zweiten Säule» ist jetzt am Fernsehen zu sehen.* Er zeigt hautnah, wie sich die Versicherungslobby ein Gesetz schneidern liess, das ihr fortan Milliardengewinne in der beruflichen Vorsorge sicherte.
Die Rente aus der AHV wurde mit Absicht kleingehalten.
EIN MAULWURF BEIM BUND
Die Wurzeln gehen zurück ins Jahr 1918. Damals fuhr der Generalstreik den Unternehmern mächtig in die Knochen. Plötzlich waren sie bereit, Pensionskassen für die Arbeitenden einzurichten, um die grassierende Altersarmut zu lindern. So entstand noch vor der AHV ein Vorsorgemarkt. Klar, dass die Versicherer da mitmischten. Sie hiessen Rentenanstalt (heute Swiss Life), Zurich, Allianz, Pax, Basler – und witterten lukrative Geschäfte. Mit dem Thurgauer Juristen Peter Binswanger hatten sie einen Experten, der ihre Interessen direkt beim Bund umsetzte. Als hoher Beamter beim Bundesamt für Sozialversicherungen sass Binswanger genau dort, wo die Gesetze geschrieben wurden.
Als 1947 die AHV geschaffen wurde, sorgten die Versicherer dafür, dass die AHV-Renten möglichst gering waren. Die Minimalrente betrug 40 Franken. Dann – so ihr Kalkül – würden die Leute ihre Renten umso eher in der zweiten Säule aufbessern. Und dieses Geld liegt eben nicht beim Staat, sondern bei den Privatversicherungen. In einem vertraulichen Protokoll aus dem Jahr 1972 ist diese Strategie schwarz auf weiss festgehalten. Die Journalisten Boschetti und Tonetti zitieren daraus in ihrem Dok-Film. Und rekapitulieren, wie sich die Versicherer damals im Hotel Atlantis in Zürich trafen und sich die Hände rieben. Sie erwarteten gute Geschäfte mit den Vorsorgemillionen der Arbeitenden. Und die machten sie auch. Mega-Rentenklau inklusive! Bis dieser 2002 schliesslich aufflog. Und das Parlament darauf das Gesetz über die berufliche Vorsorge erstmals leicht verschärfte.
CHANCE VERPASST
Doch die Macht der Versicherungslobby blieb ungebrochen. Die Versicherungskonzerne erreichten bei der BVG-Revision, dass das Gesetz ihnen weiterhin einen Gewinn von 10 Prozent des Ertrags bei der Anlage der Pensionskassengelder garantiert. Wo gibt’s das sonst? Deshalb konnte die Abzockerei fröhlich weitergehen – genauso wie das Spekulieren mit den Versichertengeldern im internationalen Finanzcasino. Heute erleben wir dies in Form stark sinkender PK-Renten bei gleichzeitig riesigen Gewinnen der Versicherungskonzerne.
Pensionskassenskandal: Als der Rentenklau aufflog
Im Jahr 2002 wurde klar, dass die Lebensversicherer jahrelang Überschüsse aus der Verwaltung der Pensionskassengelder in die eigene Tasche gesteckt hatten, statt sie als Renten auszuzahlen. Plötzlich fehlten 20 Milliarden Franken. Die Kritik an diesem gewaltigen Rentenklau schlug hohe Wellen. Im Film schildert die unerschrockene Nationalrätin Christine Egerszegi, wie sie in der Kommission, die das aufklären sollte, bei den Versicherern und dem mit ihnen verbandelten Bundesamt für Privatversicherungen aufliefen. Diese wollten keine Transparenz. Sie wussten, warum. (rh)
Vor genau 50 Jahren hätte es die Chance gegeben, all das zu verhindern. Bei einer Abstimmung 1972 hiess das Volk das Dreisäulenmodell gut. Gleichzeitig wurde die Initiative für eine Volkspension («Super-AHV») der Partei der Arbeit abgelehnt. Diese hätte statt der zweiten Säule die solidarisch finanzierte AHV ausbauen wollen. Die Ablehnung dieser Initiative war ein Fehlentscheid mit gravierenden Folgen.
Mitschuldig sind daran auch die Gewerkschaften und die Sozialdemokratische Partei, wie der Film kritisiert. Sie hatten sich gegen die Volkspensions-Initiative gestellt – und lagen falsch. Ex-Bundesrätin Ruth Dreifuss räumt dies im Film selbstkritisch ein. Und bringt es mit einem prägnanten Satz auf den Punkt: «Der Fehler war, eine Sozialversicherung einfach Privaten zu überlassen.»
* Der Dokfilm ist am Donnerstag, 27. Oktober, um 20.05 Uhr auf SRF 1 zu sehen.
Das Beste wäre, wenn man die Pensionskassen abschaffen würde und nur noch die AHV für die Renten zuständig wäre. Da dies wahrscheinlich am Widerstand der Bürgerlichen und des Volks scheitern wird, besteht nur die Möglichkeit, das Geschäft mit den Lebensversicherern und Spekulationen mit Anlagegeldern zu verbieten. Ausserdem sollte man die Gauner der Lebensversicherungen, welche diesen Skandal verursachten, endlich einmal gerichtlich zur Rechenschaft ziehen.
Man muss sich betreffend BVG auch Folgendes bewusst sein: Das Endalterskapital ist dort ebenfalls gedeckelt. Es darf z.B. bei meiner Versicherung nicht mehr als 3x so hoch sein, wie mein aktuelles Jahreseinkommen. So bin ich 20% meiner prognostizierten Rente losgeworden, als ich mit 55 J. meinen Job verlor und nun einen schlechter bezahlten Job habe. Dies, obwohl ich ununterbrochen gearbeitet habe und keine Einzahlungslücken habe. Nachzahlen darf ich diese Lücke nicht, um meine Rente aufzubessern. Ebenso wird durch sog. Zusatzversicherungen der Umwandlungssatz von 6.8% umgangen und die Gesamtrente so massiv runtergedrückt. Man wird also auch durch diese Massnahmen, welche in den internen AGBs der Versicherer nachzulesen sind, ins Elend gedrückt. Bezeichnenderweise stehen auch immer weniger Infos auf den offziell zugänglichen homepages der Versicherer. – Wie im DOK-Film gesagt wurde, ist das ursprüngliche Problem vor allem, dass man auf das Prämienprimat wechselte und das Leistungsprimat abschaffte. Es ist wichtig zu verfolgen, wie sich das alles mit Teilpensionierungen etc. verhält, denn dort hat man anschliessend ja auch nur noch ein tieferes (Teil-)Einkommen … darüber wird bis jetzt noch gar nicht gesprochen.
Einige Gewerkschaften hatten schon vor 50 Jahren den Rentenklau durchschaut und das staatliche verordnete Ansparen von Kapital abgelehnt, so die heute in der Unia aufgegangene „Bau & Holz“. Die Sozialdemokraten hingegen sind im Sinne von „Wer hat uns verraten …“ allzu oft auf der Seite des kapitalistischen Bürgertums.
So hat BR Sommaruga kürzlich unser aller einziges bedingungsloses und gleichzeitig steuerfreies Grundeinkommen mit einem Federstrich zugunsten der Wirtschaft um einen Drittel gekürzt: Die flächendeckende Rückerstattung der Steuer auf CO2 und flüchtige Lösungsmittel.