Der «Arbeitsmarkt» ist alles andere als ein normaler Markt. Denn es geht dabei um Menschen, die arbeiten, und nicht um Waren oder Dienstleistungen wie Spaghetti oder Zugbillette. Der grösste Teil der Menschen muss arbeiten, um leben zu können. Mit dem Arbeitsmarkt sind immer auch soziale Fragen verbunden. Zu wenig bekannt ist, dass die Arbeitgeber auf zahlreichen Arbeitsmärkten eine Marktmacht haben. So gibt es für Lokführerinnen und Lokführer in den meisten Regionen der Schweiz nur einen Arbeitgeber. Entweder sind es die SBB, die Rhätische Bahn oder die BLS. Auch Polizistinnen, Lehrer oder Intensivpflegerinnen können kaum zwischen verschiedenen Arbeitgebern auswählen. Sie arbeiten oft für den Kanton oder für ein Kantonsspital.
MISSBRAUCH MÖGLICH. In der Privatwirtschaft gibt es ähnliche Fälle. Etwa dort, wo Menschen in besonders spezialisierten Berufen arbeiten. Oder in ländlichen Gebieten, in der die Bergbahngesellschaft das einzige grössere Unternehmen im Tal ist. Diese Marktmacht kann missbraucht werden, indem die marktmächtige Firma tiefere Löhne zahlt, als das der Fall wäre, wenn die Arbeitenden zwischen mehreren Arbeitgebern wählen könnten.
MINDESTLÖHNE HELFEN. Gute Wirtschaftslehrbücher gehen auf dieses Problem der Marktmacht ein. Sie empfehlen für diese Fälle staatliche Mindestlöhne oder überregionale Gesamtarbeitsverträge. Damit könnten die Löhne auf das korrekte Niveau angehoben werden. Und nicht nur haben die Angestellten mehr Lohn, sondern ist auch die Arbeitslosigkeit geringer. Auf Kosten der marktmächtigen Firmen, die etwas weniger Gewinn machen. Die OECD hat versucht, das Ausmass dieser Marktmacht zu schätzen, wobei sie sich auf den regionalen Aspekt beschränkt. In der Schweiz arbeiten rund 10 Prozent der Berufstätigen der Privatwirtschaft in Berufen mit starker oder moderater regionaler Marktmacht der Arbeitgeber. In Staaten mit weniger dicht besiedelten Regionen wie Australien oder Kanada sind die Konzentrationen natürlich wesentlich höher. Würden zudem die öffentlichen Betriebe und die besonders spezialisierten Berufe dazugezählt, wäre die Marktmacht noch viel grösser.
Daniel Lampart ist Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds (SGB).