Im Pumpkraftwerk Limmern schaut Thomas Engler, dass die Turbinen drehen, die Generatoren pumpen und die Maschinen laufen. Ein Besuch dort, wo der unsichtbare Strom sichtbar wird.
Thomas Engler arbeitet unter Tag in einem riesigen Labyrinth an der Stromversorgung der Zukunft (Foto: Nicolas Zonvi)
Eine unscheinbare rote Tür trennt zwei Welten. Draussen, eingekesselt von steilen Felswänden, liegt der kleine Weiler Tierfehd. Das Ende des Glarner Hinterlandes. Im Winter kriechen die Sonnenstrahlen kaum über den Tödi. Kühe grasen friedlich. Kein Mensch weit und breit. Die Uhren scheinen hier stehengeblieben zu sein. Ganz anders im Innern des Berges. Auf der anderen Seite der Türe. Dort präsentiert sich die Zukunft der nachhaltigen Stromversorgung: das grösste Pumpspeicherwerk der Schweiz. Ein riesiges Labyrinth aus dunklen Stollen, endlosen Gängen, zwei Stauseen und riesigen Maschinen. Seit sechs Jahren ist die Anlage der Axpo in Betrieb. Anlagentechniker Thomas Engler (34) sagt: «Es ist ein grosser Spielplatz für Technik-Freaks.»
Seine Augen leuchten vor Freude, wenn er über seinen Alltag spricht. Seinen Alltag unter Tag. Seinen Alltag unter Strom. «Schon als Kind hat mich Energie fasziniert. Nach der Lehre als Elektriker war für mich deshalb klar: Ich bilde mich auf dem Gebiet weiter», erzählt er in der Standseilbahn, die vier Kilometer weit und 900 Meter hoch in den Berg fährt. Seit neun Jahren arbeitet er hier als Anlagentechniker. Sein Traumjob, wie er sagt.
HERZSTÜCK. Die Bahn hält. Engler steigt aus und läuft die schier endlosen Gänge entlang. Tür auf. Tür zu. Um die Ecke. Bis zur Kavernenzentrale. Dem Herzstück des Betriebs. In der 50 Meter hohen und 150 Meter langen Halle pflanzen sich vier riesige Generatoren in den Beton. Allein die darin enthaltenen Rotoren wiegen je 330 Tonnen. So viel wie acht voll beladene Lastwagen.
Thomas Engler war beim Aufbau der Anlage vor sechs Jahren mit dabei. Ein Knochenjob, wie er sagt. Kombiniert mit präziser Handarbeit. «Die Maschinen sind hochspezialisiert. Entsprechend sensibel reagieren sie.» Engler vergleicht es mit Handys. Die ersten Nokias waren unverwüstlich und hielten zehn Jahre. Heute sind sie zwar hochentwickelt, aber kurzlebig und anfällig für Mängel.
Damit alles reibungslos läuft, überwacht Engler mit seinem Team die Maschinen rund um die Uhr. Sieben Tage die Woche. Immer wieder rückt der Glarner auch in der Nacht aus. Das erste Mal fand er die Fahrt rein in den Berg noch unheimlich. Mittlerweile hat er sich daran gewöhnt. Oft sind es kleine Sachen, die den Alarm auslösen. Ein Sensor, der ausgewechselt werden muss. Oder zu starke Temperaturschwankungen, welche die Maschinen und damit den Stromfluss beeinflussen.
«Das Stromnetz muss stabil bei 50 Hertz laufen. Also Angebot und Nachfrage müssen sich die Waage halten. Sonst gibt’s Probleme. Bis hin zum Blackout», erklärt Engler. Ein grosser Vorteil der Pumpspeicheranlage ist die Flexibilität: Je nach Bedarf kann Strom produziert oder gespeichert werden. Wird beispielsweise in der Nacht wenig Strom gebraucht, pumpen die Generatoren Wasser vom Limmernsee in den höher gelegenen Muttsee. Sie brauchen also überschüssigen Strom, um den Stausee zu füllen. Steigt die Nachfrage gegen Mittag, wenn die Herdplatten laufen und die Fabriken glühen, schalten die Maschinen um und lassen das Wasser ab. So wird das Netz mit Energie gespeist.
Sie schaffen die Energiewende
Teures Gas, knapper Strom und eine Klimakrise, die sich immer deutlicher zeigt: Das Thema Energie bewegt die Schweiz wie schon lange nicht mehr. work richtet ab heute den Blick auf die Büezerinnen und Büezer, die bereits jetzt an der Energiewende arbeiten. Mit einer «worktag»-Serie. Rund um sauberen Strom und konkreten Klimaschutz.
PUZZLESTÜCK. Dieser Puffer ist Gold wert – vor allem in Zeiten der Sonnen- und Windenergie. Denn diese sind alles andere als beständig. Zur Veranschaulichung öffnet Thomas Engler einen Bildschirm, der in die Wand eingelassen ist. Eine Grafik ploppt auf. Sie zeigt die Leistungskurve der Photovoltaikanlagen auf den Stauseemauern. Diese schwankt wild rauf und runter. «An sonnigen Tagen speisen sie viel Strom ein. In der Nacht null», erklärt Engler. «Wollen wir die Energiewende schaffen, sind Pumpanlagen ein sehr wichtiges Puzzlestück.»
Der Glarner läuft weiter, ein Stockwerk runter, einen Gang weiter, und öffnet eine dicke Tür. Lärm schlägt einem entgegen. Der Boden vibriert. Die riesige Turbine dreht. Insgesamt werden hier im Berg rund 1000 Megawatt Strom produziert. Das entspricht der Leistung eines Kernkraftwerks. Diese Energie hat sich die Axpo einiges kosten lassen. 2,1 Milliarden Franken, um genau zu sein. Viel Geld. Das wieder reingespült werden muss. Diesen Druck spürt auch Thomas Engler ab und an. Steigt eine der Maschinen zur Spitzenzeit aus, klingelt sein Handy alle paar Minuten. Die Leitstelle will wissen, wann die Produktion weitergeht. Stressen lässt sich der Familienvater nicht. «Das Wichtigste in meinem Job ist, ruhig Blut zu bewahren.» Denn jeder Fehler kann Folgen haben. Tödliche gar. Mit Strom ist nicht zu spassen, unter Tag erst recht nicht. Oberstes Gebot hat die Sicherheit. «Wir reparieren die Maschinen immer zu zweit. Vier Augen sehen mehr als zwei.»
Der Glarner blickt auf die Uhr. Um 11 fährt die Bahn. Und was sagt er zu den aktuellen Schlagzeilen: Ist er auf einen Blackout vorbereitet? «Wir haben eine Dose Ravioli im Keller», sagt er lachend, um dann ernst zu werden. Wenn es eng wird, heisst dies für ihn: Viel Arbeit. Er wird mithelfen, den Strom wieder hochzufahren. Etwas Gutes gewinnt er der Situation ab: «Das Bewusstsein hat sich verändert. Strom ist nicht mehr so selbstverständlich.» Die Bahn hält im Tal. Engler drückt den Knopf. Die rote Tür öffnet sich. Draussen regnet es in Strömen.
Thomas EnglerRauf und Runter
Ganz ohne Strom kommt Thomas Engler beim Biken aus. «Auf ein Elektrovelo steige ich nicht vor 60 Jahren», sagt er lachend. Bis dahin strampelt er mit seinen eigenen Beinen die Berge hoch. Am liebsten mag der sportliche Glarner kurvige, steile Strecken, die ihn etwas herausfordern. «Wer wie ich im Tal aufgewachsen ist, nutzt die Möglichkeiten der wunderbaren Natur hier.»
AUF TRAB. Ist er nicht auf dem Bike oder auf dem Snowboard, kümmert er sich um seine kleine Familie. Seine Kinder sind anderthalb und drei Jahre alt – und halten ihn auf Trab. Dank der gleitenden Arbeitszeiten übernimmt er auch mal einen Arztbesuch. Oder geht mit den Kindern einkaufen. «Auf einer Baustelle wäre dies nicht möglich.»
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Kürzlich in meiner Molkiabteilung: Ein Kunde hält mir eine Packung Milch vor die Nase und fragt, warum diese Milch mit dem heutigen Ablaufdatum noch zu verkaufen sei.