Polier Salvatore Barbarotto hat mit seiner Firma das grosse Los gezogen. Doch er weiss genau, was schiefläuft auf dem Bau. Im Interview verrät er, warum die Baumeister bei den Jungen scheitern. Und der Termindruck als erstes immer das Baustellenpersonal trifft.
42 JAHRE BAU: Salvatore Barbarotto ist «auf dem Bau geboren». Mit 17 begann er die Maurerlehre. Heute ist er 59. In den letzten sechs Jahren leitete er die Instandsetzung eines Parkdecks im Zürcher Glattzentrum. (Foto: Michael Schoch)
work: Die Verhandlungen über einen neuen Landesmantelvertrag auf dem Bau laufen mehr als harzig. Der Baumeisterverband verlangt in erster Linie sogenannt flexiblere Arbeitszeiten. Faktisch will er damit die Arbeitsbedingungen massiv verschlechtern. Spüren Sie diesen Druck auch bereits am Arbeitsplatz?
Salvatore Barbarotto: Bei uns nicht. In den 14 Jahren, die ich jetzt bei der Strabag arbeite, habe ich wirklich nichts Negatives erlebt. Wir werden anständig behandelt, die Löhne stimmen, Zulagen werden bezahlt, die Stunden werden korrekt abgerechnet, der Arbeitszeitkalender wird eingehalten. Als Polier bekomme ich alles, was ich brauche, zusätzliche Leute, technische Hilfsmittel, auch Unterstützung von Bauführern und Ingenieuren, wenn ich ein Problem habe. Gegenüber anderen Firmen sind wir privilegiert.
«Überstunden dürfen nicht zur Normalität werden.»
Sie kennen es also auch anders?
Ja, sicher. Der Druck mancher Firmen auf ihre Leute ist schon brutal. Ich kenne einige Baufirmen, die dem Personal verboten haben, der Unia beizutreten. Die gleichen Firmen respektieren den Arbeitszeitkalender nicht. Jahresüberstunden von etwa 70 Stunden wurden nicht ausbezahlt. Da kann man sich ausrechnen, wie viel auf ein Jahr zusammenkommt. Und wenn du anfängst, dich zu wehren, macht dir der Chef Ärger.
Aber spüren denn nicht auch Grossfirmen wie Strabag den extremen Zeitdruck, der aus zu eng vereinbarten Terminen resultiert? Dieser Druck wird doch letztlich einfach an euch Arbeiter weitergegeben!
Das schon. Aber als Polier kann ich sagen, dass wir gewisse Termine nur einhalten können, wenn wir zusätzliche Mitarbeiter und Maschinen, die wir dazu benötigen, bekommen. Zudem kann ich diverse Arbeitsabläufe wie etwa Betonieren, Schalen usw. steuern und optimieren. Dass wir dann auch mal Überstunden machen müssen, kann schon passieren, aber es darf nicht zur Normalität werden. Wir Arbeiter haben auch ein Privatleben.
Darum kümmert sich die Branche zu wenig, finden offenbar viele. Oder wie erklären Sie sich sonst den Personalmangel?
Ich werfe den Baumeistern vor, dass sie heute zu wenig für den Nachwuchs tun. Als ich meine Lehre anfing, war ich nicht einfach Handlanger. Ich konnte das ganze Handwerk von Grund auf erlernen. Anders als heute die Lernenden. Die Firmen lassen Akkordmaurer, Akkordschaler und Akkordeisenleger oder Zimmerleute arbeiten. Maurerlehrlinge lernen die Grundlagen in der Lehrhalle, im Betrieb können sie jedoch nur einen Bruchteil davon umsetzen. Damit ist für sie der Beruf nicht mehr interessant. Ihre Arbeit wird eintöniger bei gleichzeitig steigendem Stress. Die Jungen kann man sicher nicht mit dem gewinnen, was die Unternehmen Flexibilität nennen. Dass sie also bei schlechtem Wetter oder im Winter zu Hause bleiben sollen. Aber im Sommer dafür dann noch länger ranmüssen. Das machen sie nicht mit.
Aber der Baumeisterverband behauptet in den LMV-Verhandlungen, dass den Arbeitern mehr Flexibilität gefalle.
Für eine Minderheit stimmt das vielleicht. Alle, die ich kenne, wollen das aber nicht. Viele haben jedoch Angst, Nein zu sagen. Sie fürchten, unter die Räder zu kommen, wenn sie nicht machen, was ihr Chef verlangt. Was deren Verband jetzt in den Verhandlungen fordert, zeigt mir eindeutig, dass sie ihre Mitarbeiter als Feinde ansehen. Das kann nur zu Unruhe auf dem Bau führen.
Das alles gehört zum Unterbietungskampf um die Aufträge. Warum wollen die Unternehmen nicht einsehen, dass zuerst ihre Arbeiter und dann sie selbst verlieren?
Darüber habe ich mal mit einem Baumeister gesprochen, den ich gut kenne. Er sagte mir, dass die Unternehmen die jetzigen Preise bald nicht mehr tragen könnten. Es könnte dazu kommen, dass sie eines Tages keine Wegentschädigungen und keine Mittagszulagen mehr bezahlen. Somit würden sie wieder aufs schwächste Glied gehen, die Arbeiter, habe ich geantwortet. Warum gehen sie nicht einmal gegen die Generalunternehmer und die Architekten vor, von denen der Zeit- und Preisdruck ausgeht? Dann bekämen sie keine Aufträge mehr, antwortete er mir.
Tatsächlich wissen die Baumeister exakt, welchen Preis sie für einen Auftrag benötigen. Sie kalkulieren doch alle gleich, und es gibt nur geringe Differenzen, etwa wenn sie beim Material einsparen. Sie könnten sich also gemeinsam weigern, zu den vorherrschenden Bedingungen zu arbeiten. Stattdessen sollen aber weniger Arbeiter den Auftrag erledigen, und wer da besonders rücksichtslos vorgeht, kann auch andere Unternehmen vom Markt drängen. So läuft das heute.
Polier Salvatore Barbarotto: Know-how und Karate
Polier Salvatore Barbarotto aus Tübach SG ist «auf dem Bau geboren». Mit 17 Jahren begann er die Maurerlehre. Heute ist er 59 und arbeitet seit 14 Jahren für die Baufirma Strabag, die er für vorbildlich hält. In einer Arbeitsgemeinschaft mit Walo Bertschinger leitete er in den letzten sechs Jahren die Instandsetzung eines Parkdecks im Glattzentrum von Wallisellen ZH. Mittlerweile sind die Bauarbeiten abgeschlossen, und Barbarotto räumt mit seinen noch acht Kollegen bis Dezember die Baustelle ab.
VERNÜNFTIG. Was danach kommt, weiss er noch nicht. Seine Firma wäre froh, wenn Salvatore seine Erfahrung und das Know-how noch länger als geplant weitergeben würde. Voraussichtlich wird er noch ein Jahr dranhängen. Das kann er, weil es ihm gesundheitlich sehr gut geht. Sein Erfolgsrezept: Ein «vernünftiger Lebensstil» und Sport. Seit seiner Jugend ist Barbarotto im Karate-Sport aktiv dabei.
Barbarotto ist langjähriges Mitglied der Unia und beteiligt sich in der nächsten Woche an der Kundgebung gegen die Forderungen des Baumeisterverbands. Er hofft, dass die Gewerkschaften in den Verhandlungen über den neuen LMV nicht nachgeben.
SBV floppt vor Gericht: Klage gegen die Unia abgeschmettert
Was für eine Nummer! Ende Oktober hatte der Baumeisterverband (SBV) öffentlich gedroht, die Gewerschaften Unia, Syna und SIT vor den Kadi zu zerren. Mit ihren Warnstreiks und Protestpausen würden sie gegen die sogenannte Friedenspflicht verstossen. Sogar simple Info-Anlässe und Umfragen auf Baustellen gingen zu weit, findet der SBV.
AUF GANZER LINIE. Und so reichte er tatsächlich Klage ein — und zwar beim Genfer Schiedsgericht für kollektive Arbeitsbeziehungen (CRCT). Diese solle, so die meisterliche Bitte, die Gewerkschaften zurückpfeifen und dafür sorgen, dass die Protesttage abgeblasen würden. Doch da machte das CRCT nicht mit. Es erklärte die Klage postwendend für unzulässig und wies sie auf ganzer Linie ab. Dazu Unia-Bauchef Nico Lutz: «Anstatt ihre Zeit mit Juristerei zu verschwenden, sollten die Meister endlich ernsthaft verhandeln und auf die Bauarbeiter hören. Sie haben legitime Forderungen gestellt, aber wurden bislang komplett ignoriert!» (jok)
Jetzt Petition unterschreiben Solidarität mit den Bauleuten, für eine starken LMV!
Der Kampf für einen starken Landesmantelvertrag (LMV) auf dem Bau läuft auf Hochtouren. Der Baumeisterverband will die Büezer 58 Stunden pro Woche chrampfen lassen und die Löhne der älteren Abeiter senken. Die Bauarbeiter hingegen kämpfen für besseren Schutz und mehr Zeit für die Familie.
Um die Bauleute zu unterstützen, hat die Unia die Petition «Bauarbeiter verdienen mehr!» lanciert. Denn: Jede Unterschrift hilft, den Meistern Druck zu machen. Aber nicht nur ihnen. Für Erstunterzeichner und Gewerkschaftsbund-Präsident Pierre-Yves Maillard ist klar: «Der Kampf der Bauarbeiter um die Arbeitszeit betrifft am Ende alle Arbeitnehmenden.»
Jetzt unterschreiben unter: unia.ch/petition-lmv-bau