(Quelle: Arman Spéth, Globale Warenketten, Arbeitsarbitrage und die Schweiz. In: Widerspruch Nr. 79 2022.)
Die Schweiz hat eine im höchsten Grad globalisierte Wirtschaft. Das misst sich nicht nur am Anteil des Aussenhandels an unserem Bruttoinlandprodukt, sondern auch am Volumen der Investitionen, die von Schweizer Konzernen im Ausland getätigt werden. Laut der Schweizerischen Nationalbank (SNB) beschäftigten Schweizer Konzerne über zwei Millionen Menschen in Tochterbetrieben im Ausland. Weit über die Hälfte davon in Europa und in Nordamerika, rund 750’000 im globalen Süden. Damit hält die Schweiz im Verhältnis zu ihrer Bevölkerungszahl wahrscheinlich den Weltrekord.
AUSGENUTZT. Es gibt allerdings einen Unterschied zwischen den Investitionen, die Schweizer Konzerne in Europa und Nordamerika tätigen, und jenen, die sie in den Ländern des globalen Südens tätigen. Der Grossteil der Direktinvestitionen in Europa und Nordamerika besteht aus Firmen, die durch Fusion oder Zukauf in den Konzernbesitz gekommen sind. Es sind also keine Neuinvestitionen, sondern es werden bestehende Produktionsanlagen übernommen. Bei Schweizer Investitionen im globalen Süden ist das anders: ein grosser Teil besteht dort tatsächlich aus Neuinvestitionen, die getätigt werden, um das riesige Lohngefälle zwischen der Schweiz und diesen Ländern auszunützen und um höhere Profite zu erzielen.
AUSGELAGERT. Im globalen Süden arbeiten zudem viel mehr Beschäftigte für Schweizer Firmen als jene 750’000, die die Nationalbank ausweist. Denn: sie zählt nur Beschäftigte von Firmen, an denen Schweizer Konzerne eine massgebende Beteiligung haben. Nicht eingerechnet sind aber Subunternehmen oder Zulieferbetriebe. Wie viele Menschen im globalen Süden für den Export in die Schweiz tätig sind, hat der Sozialwissenschafter Arman Spéth untersucht. Er kommt zu einem erstaunlichen Ergebnis: Allein in China, Indien, der Türkei und Mexiko arbeiteten im Jahr 2014 rund 800’000 Menschen für den exklusiven Export in die Schweiz, die meisten davon in Indien und China und ein grosser Teil in Zulieferbetrieben für die Schweizer Industrie. Gemessen an den rund 1,1 Millionen Menschen, die in der Schweiz im industriellen und gewerblichen Sektor angestellt sind, zeigt sich, welch riesige Anzahl von industriellen Arbeitsplätzen in den 2000er Jahren vom Norden in den globalen Süden verlagert wurden. In den letzten Jahren stockt die Globalisierung allerdings. Einige Konzerne haben umstrukturiert und deshalb Desinvestitionen vorgenommen. Seit den Pandemiejahren werden sogar wieder Produktionsstätten zurückverlagert. Gründe hierfür sind das geringere Wachstum in Südostasien, die Unterbrechung der Lieferketten und die damit verbundenen einseitigen Abhängigkeiten.
Hans Baumann ist Ökonom und Publizist.