Katrin Bärtschi ist Briefträgerin in Bern und Gewerkschafterin.
Kürzlich hasste die Briefträgerin a. D. die Post wieder einmal. Weil sie nämlich im Schalterraum der Hauptpost fast so lange anstehen musste wie an den Billettschaltern der SBB.
Ein Buch kam ihr in den Sinn. Der Spassvogel – ach, was vermisst sie seine faulen Sprüche! – hatte es ihr geschenkt. «Das Posthasser-Buch», von zwei zornigen Post-Nutzniessenden aus Deutschland verfasst und 2004 erschienen. Hier eine Kostprobe: «Jeder freut sich über Post im Briefkasten. Nur die Post nicht. Die montiert ihre Kästen lieber gleich ab, damit niemand in Versuchung kommt, etwas einzuwerfen.» Das Buch behandle «die Geschichte eines fortschreitenden Verfalls».
«Merci! Machets guet und häbets guet! Und auch du, gelbe Riesin, leb wohl!»
«EFFIZIENZ». Doch mit diesem Zerfall, der ja auch für die Schweiz beklagt werden muss, soll nun Schluss sein. In einem grossen Zeitungsinterview im Juni 2022 gestand der Post-Verwaltungsratspräsident Christian Levrat ein, dass «die Post in den letzten
20 Jahren stark auf Effizienzmassnahmen gesetzt» habe. Das sei vielleicht nötig gewesen. «Ich beurteile das jetzt hier nicht» … Angesprochen auf den Stress des Zustellpersonals, behauptete er: «Es gibt keine Stopuhr mehr. Es hat sich deutlich verbessert.» Und es würden neue Vollzeitstellen geschaffen. Wobei erst neulich ein im Personalwesen tätiger Postangestellter zur Briefträgerin a. D. meinte: «Viele Junge sagen heute tschüss, sobald sie einen besser bezahlten Job finden.»
Die Briefträgerin a. D. erinnerte sich weiter, wie beeindruckt sie auf einer ihrer ersten Lehrtouren gewesen war, als ihr Begleiter, ein altgedienter Pöstler, angesichts der sich abzeichnenden Vorgabezeitüberschreitung unwillkürlich und aus tiefster Seele aufstöhnte: «I hasse die Poscht!»
ABSCHIED. Nach endlich getätigtem Postschaltergeschäft trat die Briefträgerin a. D. nun auf die Strasse, und wie manchmal auf der Tour leuchtete überraschend über einem Gartenzaun eine Spätherbstrose auf.
«Poste mon amour» heisst ein 2008 erschienener, eindrücklicher Fotoband von Jean-Luc Cramatte. Die Bilder von menschenleeren Schalterinnenräumen hatten damals etwas verstörend Visionäres – und sind längst Dokumente einer vergangenen Zeit.
Damit verabschiedet sich die Briefträgerin a. D. von den Leserinnen und Lesern: Merci! Machet s guet und häbet s guet! Und auch du, gelbe Riesin, leb wohl! Schau zu dir und lass dir nicht alles gefallen.
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