Andreas Rieger
«Ein grosser Sieg», war der Titel dieser Kolumne vor einem Jahr, als die spanische Arbeitsministerin Yolanda Díaz ihre Arbeitsgesetzrevision im Parlament durchbrachte. Das war gewagtes Lob, denn es mangelte nicht an Kritik. Der konservative Partido Popular (PP) prophezeite Jobverluste, weil die «unternehmerische Freiheit» beschränkt werde. Für einige Linke und Autonomisten war die Reform ein Papiertiger. Ein Jahr später wissen wir: Die Reform war ein grosser Erfolg. Es gibt eine halbe Million mehr Jobs und weniger Prekarität. «Selbst die grössten Optimisten hatten sich nicht so positive Effekte erhofft», schreibt die bürgerliche Zeitung «El Mundo».
Eine Pflegerin hatte innert weniger Jahre über 400 Anstellungen, viele für nur einen Tag.
TAGELÖHNEREI. Spanien hatte bis 2021 den prekärsten Arbeitsmarkt Europas. Millionen Menschen hatten nur kurzfristige Anstellungen. Selbst die NZZ empörte das Beispiel einer Pflegerin, die innert weniger Jahre über 400 Anstellungen hatte, 270 davon dauerten nur einen Tag! «Contratos basura», Müllverträge, nennen dies die Spanierinnen und Spanier.
In den letzten Jahren hatten über 30 Prozent aller Lohnabhängigen nur befristete Jobs. Jetzt sind es noch halb so viele. Zwei Millionen Arbeitende mehr haben mittlerweile eine Festanstellung. Am meisten profitiert haben die Jungen. Von den 20- bis 25jährigen haben jetzt 75 Prozent eine feste Stelle, vorher waren es nur 40 Prozent.
Am stärksten zurückgegangen sind die befristeten Verträge im Bau- und im Gastgewerbe. Die meisten waren hier früher nur für ein bestimmtes Bauprojekt oder für eine Saison angestellt. Jetzt gibt es die «unbefristet-diskontinuierlichen» Anstellungen: Der Arbeitsvertrag bleibt in Zeiten mit wenig Arbeit bestehen, aber mit kleineren Pensen und mit Kurzarbeit.
RE-REGULIERUNG. Die unbefristete Anstellung ist jetzt der Normalfall, die befristete die Ausnahme, die begründet werden muss. Und Politikerin Díaz hat bereits den nächsten Vorstoss parat: Arbeitgeber, die Neuangestellte länger als drei Jahre behalten, sollen einen Bonus erhalten. Denn je länger Mitarbeitende im gleichen Betrieb sind, desto besser ist der Schutz vor Kündigungen. Das ist ein zentraler Grund, warum die Padrones bisher auf kurzfristige Jobs setzten.
Eine Re-Regulierung der verwilderten Arbeitsmärkte ist möglich. Alles hängt von der Politik ab. Manuel Rajoy, Spaniens rechter Ex-Ministerpräsident, hatte das Arbeitsrecht dereguliert. So wie heute die reaktionäre Regierung von Giorgia Meloni Italiens Arbeitsmarkt noch prekärer macht. Die linke Díaz hat dagegen erfolgreich re-reguliert.
Andreas Rieger war Co-Präsident der Unia. Er ist in der europäischen Gewerkschaftsbewegung aktiv.