Rund ein Viertel der Schweizer Bevölkerung kann politisch nicht mitbestimmen, weil ihnen der rote Pass fehlt. Das will die «Demokratie-Initiative» jetzt ändern.
EIN LAND, VIELE NATIONEN: Der Zugang zum roten Pass soll einfacher werden. (Foto: Aktion Vierviertel)
Hier bekommen alle ein Stück vom Kuchen: Bei der Vorstellung ihrer Initiative in Zürich serviert der Verein Aktion Vierviertel eine grosse Torte. Ganz demokratisch dürfen sich alle daran bedienen und mitbestimmen, wie gross das Stück werden soll. «Lieber mit oder ohne Beeren?» heisst es beim Abschneiden. So demokratisch läuft es in der Schweiz aber nicht überall.
Arber Bullakaj, Präsident des Vereins Aktion Vierviertel, findet klare Worte: «Wir wollen eine Demokratie, die niemanden ausschliesst!» Der im Jahr 2020 gegründete Verein hat ein Ziel vor Augen: eine Initiative für ein erleichtertes Einbürgerungsverfahren. Denn zurzeit wird ein Viertel der Schweizer Bevölkerung politisch fremdbestimmt – nur weil ihm der rote Pass fehlt.
Konkret fordert die Initiative: Nach fünf Jahren rechtmässigem Aufenthalt in der Schweiz soll eine Einbürgerung möglich sein, unabhängig von der Niederlassungsbewilligung. Heute dürfen sich ausschliesslich Personen einbürgern lassen, die über eine Niederlassungsbewilligung C verfügen und mindestens seit 10 Jahren in der Schweiz wohnen. (work berichtete: rebrand.ly/huerdenlauf). Zudem soll es einheitliche Kriterien für ein faires Einbürgerungsverfahren geben. Laut Bullakaj gibt es da heute noch viele Probleme, besonders die Willkür der Gemeinden sind ihm ein Dorn im Auge. «Ich kenne Beispiele, da wurden Personen für die Einbürgerung abgelehnt, weil sie nicht alle Beizen im Dorf aufzählen konnten», sagt Bullakaj. Auch Behördengänge, allfällige Tests und Kurse sowie die horrenden Kosten seien zu hohe Hürden.
Die Kosten unterscheiden sich von Kanton zu Kanton und von Gemeinde zu Gemeinde. Eine Einzelperson bezahlt in Lausanne unter tausend Franken, in Schwyz hingegen das Vierfache. «Der Einbürgerungsprozess ist so, wie er heute ist, schlicht nicht mehr zeitgemäss», ergänzt Vereinspräsident Bullakaj.
«Wer hier lebt, hat ein Grundrecht auf Einbürgerung.»
50 JAHRE STILLSTAND
Ein Rückblick zeigt: Der Weg für mehr Rechte für Migrantinnen und Migranten ist lang und steinig. 1970 lehnte das Schweizer Stimmvolk nur knapp die fremdenfeindliche Schwarzenbach-Initiative ab, mit der 300 000 Menschen die Zwangsausschaffung aus der Schweiz drohte (work berichtete rebrand.ly/schwarzenbach-initiative). Darauf folgten praktisch im 10-Jahres-Rhythmus Abstimmungen zu Bürgerinnen- und Bürgerrechten: 1983 wurde eine Verfassungsänderung vom Volk abgelehnt, die den Secondos und Secondas die Einbürgerung hätte erleichtern sollen. 1994 scheiterte eine Vorlage für die erleichterte Einbürgerung junger Migrantinnen und Migranten am Ständemehr, dasselbe geschah mit einer Vorlage 2004, die ausländischen Jugendlichen der zweiten und dritten Generation die Einbürgerung erleichtern wollte. Erst 2017 kam es zu einem Mini-Erfolg: Die dritte Generation kann seither den Einbürgerungsantrag direkt beim Bund stellen und muss nicht noch zusätzlich zum Kanton und zur Gemeinde. Doch auch dieses Verfahren ist noch aufwendig (rebrand.ly/dritte-generation). Für Bullakaj ist klar: «Wer hier lebt, hat ein Grundrecht auf eine Einbürgerung.» Deshalb soll es jetzt eine neue Initiative geben. Denn, so Bullakaj, «die Initiative ist das mächtigste Mittel der Schweizer Demokratie».
LANCIERUNG IM FRÜHLING
Und wie geht es jetzt weiter? Zurzeit ist ein Initiativkomitee im Aufbau; die «Volksinitiative für ein modernes Bürgerrecht» (Demokratie-Initiative) soll im Frühling lanciert werden. Mit dabei ist auch die Unia. Unia-Migrationsexperte Hilmi Gashi sagt: «Bürgerrechte und Arbeitnehmendenrechte sind immer mehr untrennbar miteinander verbunden. Deshalb unterstützen wir die Initiative!»
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