Im Gastgewerbe sind die Löhne zu tief und die Arbeitsplanung zu kurzfristig. Damit soll jetzt Schluss sein.
Aïda Salamin.
Rund fünfzig Gastro-Mitarbeitende stehen mit Trillerpfeifen und Transparenten vor dem Hauptsitz von Gastrosuisse in Zürich Affoltern. Aïda Salamin ist eine von ihnen. Sie sagt: «Seit Jahren ändert sich nichts!» Die 37jährige arbeitet in einem Hotel im Wallis im Service, in der Gastronomie ist sie bereits seit über acht Jahren tätig. «Ich bin müde. Und die Zeit, mich zu erholen, fehlt mir, wenn ich immer wieder spontan einspringen muss», erzählt sie. Ihre Kollegin Ana Savić * ergänzt: «Und wenn jemand krank ist oder eine Stelle nicht besetzt wird, arbeiten wir für zwei Personen.»
Weil sie genug haben von zu tiefen Löhnen und unregelmässigen Arbeitszeiten, haben über 10’000 Arbeiterinnen und Arbeiter aus der Branche ein Manifest unterschrieben. Der Titel: «Wir wollen in Würde leben». Das fordern die Mitarbeitenden von Restaurants, Bars, Hotels und anderen Gaststätten. Anhand von elf konkreten Veränderungen:
Verbesserung der Löhne und Erhöhung der Mindestlöhne;
Berücksichtigung der Berufserfahrung;
ein Ende der Arbeit auf Abruf;
Arbeitsplanung drei Wochen im voraus und schriftliche Konsultation bei Änderungen;
Bezahlung aller geplanten Stunden;
Recht auf Nichterreichbarkeit;
Bezahlung der Umkleidezeit;
Bereitstellung der Arbeitsgeräte, inkl. Schutzmaterial;
transparente und gerechte Verteilung der Trinkgelder;
Ausbildung der Personalverantwortlichen und Massnahmen gegen alle Formen der Belästigung;
mehr Kontrollen, um die Einhaltung der Arbeitsbedingungen zu gewährleisten.
BEI PLATZER REINGEPLATZT
Der Demo-Zug im Zürcher Schneegestöber stösst vor dem Hauptsitz von Gastrosuisse aber auf taube Ohren. Die Storen des Bürogebäudes sind heruntergelassen, in der Eingangshalle wartet nicht etwa der Gastrosuisse-Präsident Casimir Platzer, sondern Sicherheitspersonal. Davon lassen sich die Gastro-Mitarbeitenden aber nicht beeindrucken: Sie machen draussen weiter mächtig Lärm!
Gastroarbeiter Giuseppe Bottari ergreift das Wort. Auf italienisch macht er klar: «So geht es nicht mehr weiter!» Während seiner Ansprache richtet er den Blick nach oben in die wohlig warmen Büros von Gastrosuisse. Und seine Worte treffen den Nerv der Gastro-Mitarbeitenden, seine Rede erntet Pfiffe und Jubel.
Diese Euphorie nimmt der Demo-Zug mit und betritt die Eingangshalle des Bürogebäudes. Am Empfang geben sie das Manifest ab, gedruckt auf eine grosse Kartontafel. Auch Unia-Vizepräsidentin Véronique Polito ist dabei. Sie sagt: «Seit 2019 warten wir auf die GAV-Verhandlungen. Wir sind immer noch da, und wir werden immer mehr.»
Giuseppe Bottari.
KEIN RESPEKT
Gastrosuisse blockiert seit Mai 2019 die Gespräche für neue Lohnverhandlungen. Und das, obwohl die Arbeiterinnen und Arbeiter während der Pandemie Lohneinbussen durch Kurzarbeit oder gar Jobverlust erdulden mussten. Und obwohl die Branche wegen der schlechten Arbeitsbedingungen und der tiefen Löhne aktuell grosse Mühe hat, Personal zu finden. Doch Gastrosuisse ist verpflichtet, die Lohnverhandlungen von März bis Juni zu führen. Es geht nämlich um die neuen Mindestlöhne, die ab 2024 gelten.
Zurück nach Zürich Affoltern: Das Sicherheitspersonal hat gar keine Freude am Besuch der engagierten Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter und eskortiert sie rasch aus dem Gebäude. Von Gastrosuisse lässt sich weiterhin niemand blicken. «Sie haben einfach keinen Respekt vor uns!» ruft eine Arbeiterin.
Genau deshalb war die Aktion bei Gastrosuisse erst der Anfang. Der Frauenstreik am 14. Juni 2023 wird auch im Gastgewerbe grossgeschrieben – sei es auf den Strassen oder in den Betrieben. Denn weiterhin ist die Vereinbarkeit von Arbeits- und Privatleben in der Branche ein grosses Problem. Und ein zentrales Anliegen der Frauen in der Gastrobranche: Nulltoleranz gegenüber sexueller Belästigung. Denn diese erleben sie regelmässig an ihren Arbeitsplätzen.
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