In der Frühzeit der Computerentwicklung gab es fast nur Programmiererinnen. Trotzdem halten sich Vorurteile über Frauen in der IT hartnäckig. Mit drastischen Folgen für die Frauen auf dem Arbeitsmarkt.
MUTTER DER MONDLANDUNG: Die US-amerikanische Programmiererin Margaret Hamilton leitete die Softwareentwicklung für die Raumfahrtmission Apollo 11. (Foto: Wikipedia)
Technik ist Männersache. Seit Jahrzehnten hören wir diesen Spruch. Selbst erfolgreiche Ingenieurinnen, Wissenschafterinnen und Computerfachfrauen konnten daran wenig ändern. Wie zum Beispiel Margaret Hamilton: Diese Frau programmierte Mitte der 1960er Jahre im Alter von 35 Jahren bei der amerikanischen Raumfahrtbehörde Nasa den Code für die Computersysteme im Raumschiff Apollo 11. Wer kennt überhaupt ihren Namen? Erst 2016, im Alter von 80 Jahren, erhielt sie vom damaligen vom US-Präsidenten Barack Obama eine Ehrenmedaille für ihre grossen Verdienste. Ganz zu schweigen von den Heerscharen von Frauen, die in der Frühzeit der Computerentwicklung das Programmierhandwerk erledigten, für das sich die Männer zu schade waren. Tatsächlich war die Softwareentwicklung früher fast ein reiner Frauenberuf.
Zu Beginn war die Softwareentwicklung ein Frauenberuf.
SPIELZEUG FÜR JUNGS
In der Ära der Digitalisierung aller Arbeitsbereiche hat das Vorurteil, Technik sei Männersache, ernste Konsequenzen. Denn Studien beweisen, dass es einen «Digital Gender Gap» gibt – eine Geschlechterkluft im Digitalbereich. Männer liegen bei digitalen Innovationen vorn, weil Frauen weniger technologische Fähigkeiten zugeschrieben werden. Es gibt aber noch einen anderen Grund, wie Yvonne Lott sagt. Lott ist Geschlechterforscherin beim deutschen Böckler-Institut, das den Gewerkschaften nahesteht. In ihrem neuen Report weist sie darauf hin, dass Technik immer auch Macht bedeute. Und wo Macht winkt, sind Männer rasch zur Stelle. «Technologie wird typischerweise als ‹toys for the boys› betrachtet», hält Lott fest. Spielzeuge für Jungs.
Künstliche Intelligenz: Gefüttert mit Vorurteilen
Künstliche Intelligenz (KI) ist auf dem Vormarsch. So stark, dass schon diskutiert wird, ob KI bald schneller denkt als der Mensch. Doch eines wird oft vergessen: KI benachteiligt Frauen. Weil bei der Programmierung von Algorithmen nämlich geschlechtsspezifische Vorurteile einfliessen. Unbemerkt, wie es bei Vorurteilen eben so ist. Studien haben gezeigt, dass Frauen etwa bei einer Stellenbewerbung im Nachteil sind, wenn die Personalabteilung bei der Auswahl auf KI-Unterstützung setzt. Auch sonst drohen Frauen in der Digitalisierung vielfältige Nachteile (work berichtet: rebrand.ly/sexistischer-roboter). (rh)
DIGITALER RÜCKSTAND
Analysen zeigen, dass der technologische Wandel nicht unbedingt – wie einst befürchtet – massenhaft Jobs vernichtet. Sondern vielmehr Arbeit entwertet und verschlechtert. Davon sind aber häufig Frauen durch tiefere Löhne, geringere Anerkennung, höhere Arbeitsintensität und prekäre Anstellungsverhältnisse betroffen. Sie tragen die negativen Folgen im Digitalisierungsschub. In einer Befragung hat Forscherin Lott herausgefunden, dass Frauen seltener spezielle und komplexere Software benutzen. Noch seltener arbeiten sie mit Programmiersprachen. Der grösste Nachteil ergibt sich, wenn weibliches Geschlecht und kürzere Arbeitszeit zusammenkommen. Wer wie viele Mütter Teilzeit arbeitet, gerät am schnellsten in digitalen Rückstand. Yvonne Lott schreibt in ihrer Studie: «Das Risiko besteht, dass die digitale Transformation die Geschlechterungleichheit auf dem Arbeitsmarkt verstärkt.»
WO BLEIBT DIE «NERDIN»?
Besonders in der Informationstechnologie – der IT – hat sich eine tief verwurzelte, männerdominierte Szene ausgebreitet. Da wimmelt es von «Nerds», die nächtelang vor dem Bildschirm sitzen können. Frauen sind dagegen in vielen IT-Firmen in der Minderzahl. Und sie müssen sich im Job mehr behaupten als ihre männlichen Kollegen, bis sie anerkannt sind. Jede Softwarespezialistin und jede Programmiererin kann ein Lied davon singen.
Was tun? Gezielt weiterbilden, sagt die Autorin, den IT-Bereich für Frauen attraktiver machen und schon früh in den Schulen für eine geschlechtersensible Förderung der digitalen Fähigkeiten sorgen. Lott fordert aber auch eine neue Arbeitskultur: weg von überlangen Arbeitszeiten, weg vom Ideal von Menschen, die ganz im Job aufgehen und nichts anderes kennen als den Desktop. Die Entgrenzung der Arbeit sei ohnehin ungesund – sowohl für Frauen als auch für Männer.
Dr. Yvonne Lott: Der Gender Digital Gap in Transformation? WSI-Report Nr. 81, Februar 2023, Gratis-Download auf wsi.de.