Genau drei Jahre und acht Monate streikten die Arbeitenden des Apotheken-Zulieferers Novaltia. Das macht sich jetzt bezahlt: mit 9500 Euro Entschädigung, Lohnerhöhungen plus 60 Ferientagen.
RIESIGE ERLEICHTERUNG: Nach nervenaufreibenden 1345 Tagen Arbeitskampf können die Novaltia-Streikenden endlich jubeln. (Foto: ZVG)
Die 20 Beschäftigten der Logistikfirma Novaltia jubeln und fallen sich in die Arme: Nach 1345 Tagen ist der längste Streik Europas endlich vorbei! Die Warnwesten der Novaltia-Beschäftigten fliegen in die Luft, als die Ergebnisse der Verhandlungen am Sitz der Gewerkschaft Baskische Arbeitersolidarität (ELA) in Bilbao Ende März verkündet werden.
«Manchmal ist das Unmögliche eben doch möglich!»
GEWERKSCHAFT IM RÜCKEN
«Endlich!» sagt Cheflogistiker Ibai Carranza (37) zu work. Er ist Mitglied der Personalkommission bei Novaltia. «Niemand hatte einen so langen Streik erwartet und gewollt, doch das Ergebnis zeigt, dass das Unmögliche manchmal doch möglich ist», fügt er an. «Wir sind erleichtert!»
Novaltia gehört einem Zusammenschluss von Apotheken, die sich von Novaltia beliefern lassen. Der Ausstand mit täglichen Protesten vor Mitgliedsapotheken sei hart gewesen. Vor allem die letzten Monate. Gewerkschafter Carranza: «Wir wussten nicht, ob es noch eine Lösung geben würde.» Zweifel kamen auf. 2019 waren drei Viertel der Beschäftigten in der Logistik in der Novaltia-Filiale in der baskischen Provinz Biskaya in den Streik getreten (work berichtete: rebrand.ly/novaltia). Sie forderten Lohnverbesserungen und wieder einen eigenen Gesamtarbeitsvertag. Zentral war die Forderung nach der Abschaffung der doppelten Lohnskala. Denn die hatte neue Beschäftigte gegenüber Mitarbeitenden, die schon länger angestellt waren, deutlich benachteiligt. Dass es unterschiedliche Löhne für die gleiche Arbeit gab, wollte auch Cheflogistiker Ibai Carranza nicht hinnehmen, obwohl er besser verdient. «Um keinen Preis wollten wir abbrechen.» Und so finanzierte die Gewerkschaft ELA über ihre Streikkasse den drei Jahre und acht Monate dauernden Ausstand.
«Mit meinem Lohn brauchte ich an eine Familiengründung gar nicht zu denken.»
BIS 70 PROZENT MEHR LOHN
Das Resultat kann sich sehen lassen. Insbesondere die Tieflöhne wurden markant angehoben. Zum Beispiel derjenige von Lagerarbeiterin Helka Fernández. Sie musste vor dem Streik in dem für spanische Verhältnisse teuren Bilbao von 927 Euro im Monat leben. «An die Gründung einer Familie brauchte ich nicht mal zu denken», sagt die 31jährige. «Dafür sollte ich sogar am Wochenende antreten, ohne Zuschlag.» Das hatte für sie das Fass zum Überlaufen gebracht. Sie wurde Streikführerin. Jetzt erhält Fernández einen Jahreslohn von 22 000 Euro, ausbezahlt in 14 Monatslöhnen zu je 1607 Euro, wie es in Spanien üblich ist. Auch die Löhne für Besserverdienende wie Ibai Carranza steigen um fast 27 Prozent.
Zudem wurde der hauseigene Gesamtarbeitsvertrag wieder in Kraft gesetzt. Die in ganz Spanien tätige Novaltia hatte dem Baskenland den schlechten spanischen Gesamtarbeitsvertrag aufgezwungen. Das war über eine Arbeitsmarktreform der rechten Regierung unter Präsident Mariano Rajoy möglich geworden. Der lange Streik war aber auch nötig, da die sozialdemokratischen Nachfolgerinnen und Nachfolger Versprechen zum Trotz die Reform nicht gestrichen, sondern nur leicht abgeändert haben. Arbeitgeberverbände jubelten, weil die Verschlechterung der Rechte der Arbeitenden im Kern erhalten wurde.
FIRMA FÜLLT STREIKKASSE
Novaltia zahlt den Streikenden zudem fast 9500 Euro Entschädigung. Damit gehen wohl viele in die verdienten Ferien, denn sie bekamen rückwirkend auch noch 60 Ferientage zugestanden. Novaltia hat sich ausserdem verpflichtet, keine Repressalien gegen die Streikenden einzusetzen wie Versetzungen oder Kündigungen, die weiterhin einfach und billig möglich sind.
Wichtig war für die Streikenden auch, dass die Firma für jeden Streiktag einen symbolischen Euro an die ELA-Streikkasse zahlt. Ohne sie wäre der Langzeitstreik unmöglich gewesen, sind sich die Beschäftigten einig.