Marius Käch ist Bauarbeiter in Zürich und Gewerkschafter.
Gemeinsam mit Gregor aus Polen suche ich Schutz vor dem Platzregen. Es ist Freitag kurz vor Feierabend. Jetzt stehen wir unter dem Planhaus der Eisenleger, und es ist der beste Moment für Smalltalk. Doch trotz nahendem Wochenende zieht Maurer Gregor einen Lätsch, wirkt sogar richtig traurig. Irgendwann sagt er’s: «Es ist der Krieg, der mir auf dem Magen liegt.»
Das ist es also. Ich als Schweizer kannte den Krieg bisher nur aus den Erzählungen meiner Grosseltern. Er war weit weg. Oder lange her. Und oft am Feierabend tauchte er auf dem Bildschirm auf, bei Playstation-Spielen wie «Call of Duty» oder «Battlefield». Doch jedes Ballergame hat einen «Respawn Button». Damit kann man seinen gefallenen Krieger wiederbeleben – per Knopfdruck, ganz normal.
Für meinen Maurerkollegen Gregor ist der Krieg ganz real.
FRONT. Bei Gregor ist das anders. Er hat Freunde in der Ukraine. Viele von ihnen sind schon an der Front. Und von einigen weiss er, dass sie nie mehr nach Hause kommen werden. «Du, aber wir sind doch in Zürich!» sage ich – in der Hoffnung, den Kollegen etwas aufzumuntern. Und: «Wenn der Krieg sich ausbreitet, dann bleib doch einfach bei uns. Jungs wie dich, die brauchen wir immer!» Es nützt nichts. Denn für Gregor ist die Sache nicht so simpel. Seine Liebsten sind immer noch in der Heimat. Die Frau hat dort Arbeit, und die Kinder müssen zur Schule: «Wenn plötzlich auch Polen mobilisiert, dann muss ich gehen», sagt Gregor. «Die haben meine Familie. Wenn ich hierbleibe, geht’s denen an den Kragen.»
ABSCHIED. Also lerne ich: Jeden Tag kann’s so weit sein, dass ich Gregor zum letzten Mal sehe. Theoretisch schon in zwei, drei Tagen könnte die Front sein Dorf erreichen. Gregor und ich, wir wissen beide: Geht’s dort drüben zur Sache, sehen wir uns nie wieder.
Das Risiko, dass mein Maurerkollege verletzt oder sogar im Leichensack nach Hause kommen wird, ist gewaltig. Was aber, wenn er «unversehrt» aus dem Kriegsdienst heimkehren würde? Wäre er dann immer noch unser Gregor? Wird er getötet haben? Wird er gesehen haben, wie seine Kameraden in Stücke zerfetzt wurden? Und seine Familie? Wird sie noch leben? Die Fragen verstören. Sicher scheint mir eines: Für Gregor gibt es weder Ruhm noch Ehre noch irgendeinen Heldenstatus zu gewinnen. Der Krieg kennt keine High-Scores. Und auch keinen Respawn-Button. Nur Elend und Tod.
Endlich lässt der Platzregen nach. Feierabend. Doch die Lust aufs «Battlefield»-Zocken ist mir nachhaltig vergangen. Ach, Gregor, was soll ich dir sagen? Da gibt’s keine Worte für Trost, nur das Hoffen auf Frieden.