Während Enrique Ros schon seit Geburt Berner ist, fehlte ihm viele Jahre lang der rote Pass. Umgekehrt war es bei Simone Kreuz: Sie wurde als Schweizerin geboren, ist im Herzen aber Brasilianerin.
IN DIE WIEGE GELEGT: Simone Kreuz wurde in Brasilien als Schweizerin geboren. Erst seit 15 Jahren lebt sie hier. (Foto: Manu Friederich)
work trifft Enrique Ros (67) in einem Café neben dem wohl bekanntesten Wahrzeichen Berns – dem Zytglogge. «Dass wir hier im Herzen von Bern edlen italienischen Kaffee trinken, wäre vor 50 Jahren unvorstellbar gewesen», sagt Ros. Er ist pensionierter Professor, Gymnasiallehrer und Dokumentarfilmer – und kennt in der Altstadt jede Gasse, jede Ecke. Denn Ros ist als Sohn von spanischen Arbeitsmigranten 1955 in der Bundeshauptstadt geboren und gross geworden. Seine Eltern betrieben das Restaurant Commerce und brachten die spanische Küche nach Bern. Ros erinnert sich: «Damals lebte in der Altstadt und in der Matte die Unterschicht. Alte, Alkoholiker und Ausländer.»
Nachdem Ros seine ersten Jahre bei seinen Grosseltern in Spanien verbracht hatte, kam er mit etwa sieben Jahren retour in die Schweiz. An seine ersten Schuljahre erinnert sich der heute 67jährige noch gut: «Meine Lehrpersonen konnten meinen Vornamen Enrique nicht aussprechen, deshalb wurde ich ‹Quä Quä› oder ‹der Spanier› genannt.» Als Kind habe er auch nie Freunde mit nach Hause genommen. «Ich habe mich geschämt, dass meine Familie anders war», sagt er. Für Migrantinnen und Migranten war es damals eine schwere Zeit im fremdenfeindlichen Bern, besonders angesichts der Schwarzenbach-Initiative, die dazu geführt hätte, dass bis zu 400 000 Menschen aus der Schweiz ausgeschafft worden wären (work berichtete: rebrand.ly/nie-mehr).
LANGE DARUM GEKÄMPFT: Enrique Ros wurde in Bern geboren, doch erst in seinen Vierzigern bekam er endlich den Schweizer Pass. (Foto: Matthias Luggen)
DER GANG ZUR BEHÖRDE
Als Ros volljährig wurde, wagte er den ersten Versuch der Einbürgerung. Dafür musste er bei der Fremdenpolizei in Bern antraben. «Schon nur der Gang zu dieser Behörde war entwürdigend. Das Büro befand sich in einem dunklen Souterrain, auf kalten Holzbänken wartete man, bis man aufgerufen wurde», erinnert sich Ros. Im Einbürgerungsgespräch kam irgendwann das Thema Militärdienst auf. «Zu dieser Zeit sah ich mich in der Tradition der 68er und als Hippie! Militärdienst kam für mich gar nicht in Frage», sagt Ros.
Das kam nicht gut an. Sein Gegenüber meinte, Schweizer zu werden sei eine grosse Ehre mit wichtigen Pflichten. Wenn er den Militärdienst verweigere, werde das notiert, und er könne nie mehr Schweizer werden. So klappte es mit der Einbürgerung vorerst nicht. Erst als Ros in den 1990er Jahren eine Schweizerin heiratete, erhielt er den Pass.
«Meine Lehrer nannten mich nur ‹Quä Quä› oder den Spanier.»
ZUERST WAR ES NUR EIN PASS
Den Pass hatte Simone Kreuz schon seit ihrer Geburt, er wurde ihr quasi in die Wiege gelegt. Diese Wiege stand in Brasilien. Kreuz sagt: «Auf dem Papier war ich schon immer Schweizerin, doch im Herzen bin ich Brasilianerin.» Die heute 35jährige ist in Brasilien geboren und aufgewachsen. Ihr Grossvater aus Kappelen BE ist als Kind nach Brasilien ausgewandert. Er wurde dort während des Zweiten Weltkriegs von Schweizer Verwandten adoptiert. Bezug zu ihrer Herkunft hatte Kreuz wenig. «Mein Grossvater hat uns nicht viel über die Schweiz erzählt. Er war ein sehr zurückhaltender Mann – ein typischer Berner halt», sagt sie mit einer Prise Humor. Als Kind besuchte sie die Schweiz wenige Male, sie konnte nur ein paar Brocken Berndeutsch. Als Kreuz volljährig wurde, wollte sie ein Abenteuer wagen: Sie belegte einen Deutschkurs, packte ihre Koffer und wanderte mit ihrem Mann, ihrer Cousine sowie deren Partner aus.
Trotz Schweizer Pass musste sie von null starten. Eine neue Sprache, eine neue Kultur, keine Freunde. Diskriminierende Erfahrungen gab es auch, besonders wegen des gebrochenen Deutschs. Erst war Kreuz in einer Bäckerei angestellt, später in einer Fabrik. Sie und ihr Ehemann Fernando haben sehr viel gearbeitet, denn: «In Brasilien sind die Perspektiven für junge Leute schwierig. Wir wollten in der Schweiz Geld verdienen und uns eine Zukunft aufbauen.» Geplant war ein Aufenthalt von ein paar Jahren. Doch das Leben spielte anders.
Simone Kreuz lebt nun bereits seit über 15 Jahren in der Schweiz. Sie hat mittlerweile eine Tochter (4) und einen Sohn (9 Monate). «Für unsere kleine Familie ist es hier super. An Feiertagen oder Kindergeburtstagen fehlt uns aber die brasilianische Familie», sagt Kreuz. Deshalb versuchen sie, einmal pro Jahr nach Brasilien zu reisen.