Bombardier vernichtet 650 Jobs in der Schweiz
Familienknatsch und Missmanagement

Beschaffungsskandal: Die SBB lassen die neuste Generation von Fernzügen durch Temporäre beim Bombardier- Konzern fertigen.

Kahlschlag: In der Bombardier-Produktionsstätte in Villeneuve VD verlieren 480 Temporärarbeitende ihren Job. (Foto: PD)

Gleich die halbe Schweizer Belegschaft stellt der kanadische Eisenbahn- und Flugzeugbauer Bombardier auf die Strasse. Obschon der Konzern Milliardenaufträge von den SBB, von der Swiss und von städtischen Verkehrsbetrieben hat – und Bombardier erst noch auf neue hofft.

Das allein wäre schon übel genug. Die Unia nahm sofort Gespräche mit der Unternehmensführung auf. Dabei stellte sich heraus, dass 480 der rund 650 künftig Entlassenen Temporärarbeitende im Werk von Villeneuve VD sind. Und etwa hundert in Zürich.

MILLIARDEN VON DEN SBB

In Villeneuve werden für die SBB 62 Doppelstockzüge fertiggebaut, hauptsächlich mit Bestandteilen, die Bombardier im ostdeutschen Görlitz herstellt. Der 2-Milliarden-Franken-Deal gilt in der Branche als Jahrhundertvertrag. Er enthält auch die Option für weitere 100 Züge. Bombardier hatte den Vorzug vor Siemens und der Stadler Rail bekommen. Die Waadtländer Regierung hatte sich für den Multi aus Québec starkgemacht. Und ihm diverse andere Hilfen gewährt.

Wie konnten der Kanton, die SBB und der Bund zulassen, dass Bombardier den Jahrhundertauftrag mit Temporären abwickelt? Seit Jahren verlangt die Unia die Beschränkung der Temporären auf 10 Prozent der Stammbelegschaft (in Villeneuve: 350 %). Denn die auf Zeit Beschäftigten sind sozial schlechter gestellt, haben weniger Vertragssicherheit und verwässern die Gesamtarbeitsverträge. Sie dienen oft als Manövriermasse, bis zur Arbeit auf Abruf. Die Patrons missbrauchen sie regelmässig für Lohn- und Sozialdumping.

MIESES SPIEL MIT TEMPORÄREN

So dürften die meisten Arbeitenden in Villeneuve formal gar nicht bei Bombardier angestellt sein, sondern bei Adecco, dem weltweit grössten Temporärvermittler. Ein Schweizer Konzern. Adecco hat, so erzählen Bombardier- Arbeiter, zur Abwicklung der Kollegen ein Büro auf dem Konzerngelände bezogen. Carlo Carrieri von der Unia, der als Gewerkschaftssekretär Bombardier seit über zehn Jahren begleitet, will nun in den Verhandlungen mit dem Konzern «alles tun, damit Temporäre und Festangestellte gemeinsam in eine gute Lösung eingebunden werden». Die juristischen Abklärungen laufen.

In der Unia-Zentrale bekräftigt Matteo Pronzini, Mitglied der Sektorleitung Industrie: «Wir setzen uns für die Zeitarbeitenden ein. Werden sie schlechtergestellt, wird das zum Bumerang für alle Belegschaften.» Denn auch in der Industrie setzten die Konzerne immer mehr Arbeitende auf Zeit ein. Ein Trend, der in der angelaufenen Digitalisierung zum Hebel werden könnte, alle gesicherten Arbeitsverträge auszuhebeln.

DEN SBB SIND BÜEZER SCHNURZ

Bizarr: Die Auftraggeberin SBB, die dieses Geschäft mit Steuergeldern bezahlt, hat an dem doppelten Skandal Massenentlassung und Temporärarbeitende nichts auszusetzen. Auf die Nachfrage von work antwortet die Bahn mit zwei dürren Sätzen: «Nach öffentlichem Beschaffungsrecht liegt die Wahl der Unterlieferanten in der unternehmerischen Freiheit der Lieferanten.» Und: «Die SBB halten sich an die Vorgaben des Beschaffungsrechts.»

Offenbar kümmerten auch andere Unstimmigkeiten das SBB-Management nicht. 60 Prozent der Wertschöpfung dieses Auftrages werde in der Schweiz geschehen, hatte Bombardier versprochen. Schon im März 2013 interpellierte Unia-Industriechef und SP-Nationalrat Corrado Pardini beim Bundesrat. Der hatte keine Ahnung, wie viel Wert in der Schweiz geschaffen wurde. Und die drei Jahre Verspätung bei der Lieferung der Züge, fragte Pardini. Nichts bekannt, sagte der Bundesrat. Inzwischen mussten die SBB altes Zugsmaterial teuer nachrüsten, weil das neue noch nicht rollt. Und Bombardier muss zur Kompensation drei ganze Züge gratis liefern.

FAMILIENPUFF

Der Konzern mit etwa 60 000 Beschäftigten und 17 Milliarden Franken Umsatz schlingert schon seit einigen Jahren. Er wird von der Familie Beaudoin- Bombardier geführt. Familienknatsch und eine Reihe grober Managementfehler brachten ihn immer wieder in die Schlagzeilen. 2001 mussten die Pensionskassen Bombardier retten. 2015 entliess der Konzern 2700 Angestellte, im Jahr drauf 7000, und im Herbst 2016 kündigten die Manager die Zerstörung von nochmals 7500 Arbeitsplätzen an. Was in Villeneuve und in Zürich geschieht, könnte diesen Umbau spiegeln. Es könnte aber auch der Versuch sein, die Waadtländer Regierung zu einer erneuten Intervention für Bombardier zu erpressen – für Nachfolgeaufträge.

«SBB-Chef Andreas Meyer müsste ein Diener des Staates sein.»

So viel aber ist für Unia-Mann Corrado Pardini klar: Das Beschaffungswesen von Bund, Kantonen und Gemeinden muss auf neue Regeln gestellt werden. Insgesamt fliessen von der öffentlichen Hand jedes Jahr für 41 Milliarden Franken Aufträge an private Unternehmen. Pardini: «Bundesnahe Betriebe wie die SBB müssen lernen, dass sie die Steuergelder so einsetzen, dass sie den Arbeitenden und der Volkswirtschaft dienen. SBB-Chef Andreas Meyer spielt den Konzern-CEO, der möglichst viel aus dem Unternehmen pressen will. Doch eigentlich müsste er ein Diener des Staates sein.»

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