Zwei Frauen ringen um die Zukunft Italiens – und Europas
Elly Schlein vs. Giorgia Meloni

In Italien zeigt sich, was der neue Faschismus mit Europas Demokratien anrichtet: Beinahe geräuschlos baut Giorgia Meloni das Land autoritär um. Stoppen kann sie wohl nur die junge Chefin der Demokraten, Elly Schlein.

DUELL: Neofaschistin Meloni (links) will sich per Verfassungsänderung die Alleinherrschaft sichern, doch die neue PD-Chefin Schlein (rechts) könnte ihr dabei in die Quere kommen. (Fotos: Keystone, Getty)

Just zum 1. Mai strich Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni (46) das «Bürgergeld». Es war eine Form von Grundeinkommen für Arbeits- und Mittellose. Damit stösst die Neofaschistin 4 Millionen Menschen in die Armut zurück. Vor allem Junge unter 25 und Menschen über 60, die kaum eine Chance haben, einen Job zu finden. Für 350 Euro Sozialgeld sollen sie nun jede Arbeit annehmen müssen. Diesen brutalen Schnitt verstanden die Gewerkschaften als «gezielte Provokation».

Meloni aber nannte es «eine schöne Geste zur Ehre der Arbeitenden». Sie liebt diese sozial-sadistischen Spielchen.

Meloni hat mit eiserner Faust den Umbau Italiens begonnen.

GEGEN AUSSEN GEMÄSSIGT

Gegen aussen mimt sie die Gemässigte. Dar­um unterstützt sie die Ukraine gegen die russischen Invasoren, im Gegensatz zu ihren Regierungspartnern, dem am 12. Juni verstorbenen Putin-Bewunderer Silvio Berlusconi und Vize-Regierungschef Matteo Salvini von der Lega. Meloni lässt sie reden, doch sie allein führt das Kommando.

Mit Brüssel macht sie auf Liebkind. Denn es geht darum, die von der EU zugesagten 191 Milliarden Euro aus dem Covid-Wideraufbauplan nicht zu gefährden. Wirtschaftspolitisch tritt sie in die neoliberalen Fussstapfen ihrer Vorgänger. Denn in Wahrheit regiert die Koalition von Bürgerlichen, Lega und Neofaschisten mit kurzen Unterbrüchen schon seit rund 20 Jahren. Nur in veränderter Zusammensetzung. Berlusconi hatte das rechts-rechtsextreme Bündnis erfunden – nun wird es in Frankreich, Grossbritannien, Schweden und anderswo gerade zum Modell.

Kürzlich zeigte sich der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz sonnig lächelnd an Melonis Seite, als sei die Neofaschistin eine Regierungschefin wie andere. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen fährt sogar Hand in Hand mit Meloni zum tunesischen Diktator Kais Sayed, um eine noch schärfere Gangart gegen die afrikanische Migration in die Festung Europa einzufordern.

Melonis Partei Fratelli d’Italia hatte ihren Wahlkampf mit dröhnendem Rassismus und Verschwörungstheorien von «der Auswechslung der Bevölkerung» durch dunkelhäutige (muslimische) Mi­grantinnen und Migranten bestritten. Unterdessen überlässt die rabia­te Regierungschefin die schärfsten rassistischen Ausfälle ihren Mitstreitern wie dem Altfaschisten Ignazio La Russa, der in St. Gallen studiert hat und Mussolini-Büsten sammelt.

Manche hat die vermeintliche Mässigung Melonis getäuscht. Tatsächlich sei es genau umgekehrt, sagt die italienische Politologin Caterina Froio: Rassismus und Rechtsextremismus «haben sich normalisiert», werden also in immer breiteren Kreisen akzeptiert. Froios Kollegin Sara Garbagnoli erkennt darin die «Radikalisierung des Neoliberalismus: Meloni wurde uns nicht vom Storch gebracht.» Darum werde ihre Gefährlichkeit unterschätzt.

HOFFNUNGSTRÄGERIN SCHLEIN

Tatsächlich hat Meloni mit eiserner Faust den Umbau Italiens begonnen. Kritische Medienleute werden mit Prozessen eingeschüchtert. Seenotretter an der Arbeit gehindert. Die Geschichte des italienischen Faschismus wird umgeschrieben. Meloni sieht sich als «Frau, Mutter, Christin, Pa­triotin», Kriegerin in einem «Kulturkampf». Laufend erfindet sie neue Schikanen gegen Klimaaktivisten, Feministinnen, Homo-Eltern, Kulturveranstalter und natürlich Migrantinnen und Migranten. Ihr erklärtes Ziel aber ist eine neue Verfassung, mit aller Macht bei der Regierungschefin.

Das könnte ihr sogar gelingen. Wäre da nicht Elly Schlein (38). Sie ist die Frau, mit der niemand gerechnet hatte. Nach der Wahlniederlage der Linken im Oktober 2022 hatte Schlein die marode Demokratische Partei (PD) mit einer jungen Crew übernommen. Sie ist die Anti-Meloni. Eine Frau, die Frauen liebt, «keine Mutter, aber deswegen nicht weniger Frau». Weltgeübt, mit italienischem, schweizerischem und US-Pass. Keine politische Vielschwätzerin. Sie weiss: Um die tiefe soziale Krise Italiens und den Klimawandel zu bewältigen, muss sie die lebendigen Kräfte der Gesellschaft, die Basisbewegungen, die Vereine und die Gewerkschaften für ihr Projekt gewinnen. Ein enormes Unterfangen. Fast die Hälfte der Italienerinnen und Italiener wählen überhaupt nicht mehr.

GEKOMMEN, UM ZU BLEIBEN

Schleins Job als Oppositionschefin begann schwierig. Nach Niederlagen bei Regional- und Lokalwahlen im Frühjahr witterten Partei-Dinosaurier der PD die Chance auf Revanche – sie kritisierten Schlein, die kaum zwei Monate im Amt war, scharf. Schlein antwortete: «Ich bin da, und ich bleibe.»

Dass Meloni gerade viele Masken fallenlässt, könnte Schlein nun zu Hilfe ­kommen. Immer mehr Italienerinnen und Italiener suchen einen Weg, die neofaschistische Maschinerie zu stoppen. Mit Elly Schlein als Oppositionschefin haben sogar die Gewerkschaften wieder an Farbe gewonnen: Der Gewerkschaftsbund CGIL organisiert im Juni gleich zwei Grossdemonstrationen: gegen den Abbau beim Service public und für die demokratischen Grundrechte.

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