Illegale Kettenverträge sind in Temporärbüros verbreitet. Ein Genfer Lastwagenfahrer hat sich mit Erfolg gewehrt. Dabei kam ans Licht: Der Gesetzesbruch hat System.
NEBEN DER SPUR: Kettenverträge zur Umgehung von Feriengeldzahlungen und zur Kürzung der Kündigungsfrist sind verboten. (Foto: Adobe Stock)
Diese Sommerferien kann Lastwagenfahrer António Pereira* entspannt angehen. Denn sein alter Arbeitgeber, die Westschweizer Temporärkette Valjob, muss ihm fast 6000 Franken Lohnnachzahlung plus 1000 Franken Entschädigung überweisen. Das hat das Genfer Arbeitsgericht entschieden. Die Richter gaben Pereira in fast allen Punkten recht und verurteilten Valjob wegen missbräuchlicher Kündigung. Pikant: In der Geschäftsleitung sitzt die frühere Walliser CVP-Nationalrätin Monique Paccolat (69). Noch pikanter: Das Gericht sprach Valjob nicht nur im Fall Pereira schuldig, sondern rügte die Geschäftspraxis der Temporärfirma ganz grundsätzlich – und zwar als «mindestens fragwürdig».
Der Valjob-Spartrick: Die Kündigung kam exakt zum Ferienbeginn.
RAUSWURF ZUM FERIENBEGINN
António Pereira unterzeichnete im Mai 2021 einen befristeten Vertrag bei Valjob. Diese lieh ihn an eine Baufirma aus, bei der er einen verunfallten Lastwagenfahrer bis zu dessen Rückkehr ersetzen sollte. Nach drei Monaten erhielt Pereira einen unbefristeten Vertrag. Dann kamen der Winter und mit ihm eine Baupause von gut zwei Wochen. Aber für Pereira gab es keine Weihnachtsferien, sondern die Kündigung per Telefon – und zwar exakt auf den Ferienbeginn. Das zumindest behauptete Valjob vor Gericht.
Zur Erinnerung: Mündliche Kündigungen sind in der Schweiz – im Unterschied etwa zu Deutschland – erlaubt, aber für Arbeitnehmende nachteilig. Denn im Streitfall fehlen Beweise, und die Gerichte glauben oft den Firmen. Nicht aber im Fall Pereira. Der bestritt nämlich vehement, eine Kündigung erhalten zu haben. Die Valjob-Leute dagegen sagten aus, sie hätten Pereira entlassen, weil sie mit einer baldigen Rückkehr des Unfall-Chauffeurs gerechnet hätten. Das überzeugte die Richter nicht. Denn just als die Winterferien vorbei waren, bekam Pereira einen neuen, dritten Vertrag vorgesetzt.
Ex-CVP-Politikerin Monique Paccolat. (Foto: Screenshot RTS)
CHEF VERPLAPPERT SICH
Die Genesung des Kollegen verzögere sich noch etwas, hiess es nun. Für das Gericht war die Masche «offensichtlich»: Die Kündigung habe Valjob nur dazu gedient, sich die Lohnzahlung während der Ferien zu ersparen. Die Neuanstellung habe dem Temporärbüro zudem den Vorteil verschafft, Pereiras Kündigungsfrist wieder auf das Minimum von zwei Tagen zu reduzieren.
Erstaunlich offen äusserte sich dazu eine Valjob-Sekretärin. Sie gestand, dass es in der Firma «normales Vorgehen» sei, den Temporären auf Ende Jahr zu kündigen. Nicht weniger freimütig ergänzte der Valjob-Geschäftsführer: Immer Anfang Jahr gebe es neue Verträge für alle. Dass solche Kettenverträge verboten sind, wussten die beiden offenbar nicht. Deshalb betont die Urteilsschrift: «Die Abfolge von Verträgen über gleichartige Aufträge mit demselben Personalverleiher ist nicht zulässig.» Für Lastwagenfahrer Pereira endete sein dritter Vertrag denn auch jäh.
FALSCHE KÜNDIGUNGSFRISTEN
Am 1. Februar hiess es plötzlich, der alte Chauffeur sei wieder fit. Sofort erhielt Pereira die Kündigung – mit Frist auf zwei Tage. Heisst: Schon am 3. Februar stand er arbeitslos auf der Strasse. Doch Pereira ging schnurstracks zur Unia – und mit ihr vor Gericht. Dieses urteilte auch in diesem Punkt klar: Pereira habe 10 Monate lang dieselbe Aufgabe gehabt, dasselbe Stundenbuch ausgefüllt und demselben Auftraggeber gedient. Die Aufspaltung eines solchen Arbeitsverhältnisses in drei separate Verträge sei eine «rein künstliche Konstruktion». Die Kündigungsfrist gemäss GAV Personalverleih betrage daher nicht zwei Tage, sondern einen Monat. Zahltag für Chauffeur Pereira!
*Name geändert