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Das Klima im Juni 2023: Wir müssen für einmal nicht hässig sein. Oder doch?

Frauenstreik, Klimagesetz und Mindestlohn: Wir haben bewegte Tage hinter uns. Ein erster Blick in den Rückspiegel lohnt sich.

DRUCK DER STRASSE: Am Frauenstreik vom 14. Juni liessen sich die bürgerlichen Frauen kaum blicken – dafür nahmen ganz viele junge Frauen teil. (Foto: Keystone)

Wenn im Sport jemand eine Abfahrt zweimal hintereinander gewinnt, dann sind diese Siege für die Sportreporterinnen und -reporter jeweils etwas für die Geschichts­bücher, die niemand schreibt und folglich auch niemand liest. Weil alles schnell vergessen geht, und dies erst noch zu Recht. Anders könnte es politisch mit dem Juni 2023 sein. Ein erster Blick in den Rückspiegel lohnt sich.

Rückspiegel 1: Der Frauenstreik war ein grosser Erfolg. Obwohl die bürgerlichen Frauen nicht mitmachten. Auch nicht Mitte-Bundesrätin Viola Amherd. Am Frauenstreik 2019 liess sie sich noch in Lila auf dem Bundesplatz blicken. Doch sie wurde nicht vermisst: Am diesjährigen 14. Juni streikten ganz viele junge Frauen. Neue Generationen wurden da offenbar politisiert. Und die Politik macht ihnen erst noch sichtlich Spass und Freude. Die Gewerkschaften, vorab die Unia, haben sich erfolgreich positioniert. Politik, speziell feministische Politik, braucht den Druck der Strasse.

Rückspiegel 2: Die SVP steckte unglaublich viel Geld in die Lügenkampagne gegen das Klimagesetz. Pro hundert Franken Hetzwerbung machte Herrliberg fünfzig Mal weniger Stimmen als der Corona-Leugner Nicolas Rimoldi, der das Covid-Gesetz per Referendum zu Fall bringen wollte. Doch auch er schiffte an der Urne ab. Das Resultat: Nun argumentiert nicht nur die NZZ für neue Atomkraftwerke. Sondern faktisch auch der «Tages-Anzeiger» .

Die Linken und Grünen müssen nun dringend aufzeigen, wie wir drei Dinge schaffen. Erstens den schnellen Ausstieg aus der Atomenergie. Zweitens den Umstieg auf Elektromobilität. Drittens den Ersatz der bestehenden Öl- und Gasheizungen. Und das alles zu vernünftigen Preisen! Nach dem gewonnenen ersten Satz (mit dem Ja zum Klimagesetz) ist vor dem zweiten Satz. Denn gewonnen haben wir erst, wenn die bestehenden Atomkraftwerke vom Netz gehen und keine neuen gebaut werden.

Rückspiegel 3: Die direkte Demokratie hat auch auf der Ebene der Städte und Gemeinden ein Potential, das die Linke bisher vielleicht noch zu wenig genutzt hat. So sagten ebenfalls am letzten Abstimmungs­wochenende die rot-grünen Städte Zürich und Winterthur klar Ja zu Mindestlöhnen, die im internationalen Vergleich respektabel sind. In Zürich stimmten selbst traditionell bürgerliche Quartiere für einen Mindestlohn von 23.90 Franken. Da bewegt sich etwas im Unterholz. Denn ein höherer Mindestlohn wirkt wie ein Paternosteraufzug – also wie ein Lift – für alle anderen kleinen und mittleren Löhne und Renten. Nach vorne gedacht könnte dies bedeuten: Wer eine Einigung mit der EU will, muss die Gewerkschaften gewinnen und einen Mindestlohn von 24 Franken – vielleicht nach Regionen leicht abgestuft – als Bestandteil eines Pakets durchsetzen. Der Fortschritt hat Wind in den Segeln.

All diese Beispiele zeigen: Politische und gewerkschaft­liche Arbeit ist komplex. Nur wer alle Ebenen ausreizt, nutzt das ganze Potential. Und in diesen Prozessen gibt es so etwas wie die relative Auto­nomie der Ebenen. An uns liegt es, überall die erfolgversprechenden Schlupflöcher zu suchen und zu finden.

Links zum Thema:

  • rebrand.ly/paternoster In Genf verdienen bereits heute dank dem Mindestlohn 30 000 Frauen und Männer mehr Geld, als dies ohne Mindestlohn der Fall wäre. Aber auch alle übrigen profitieren von diesem Paternosteraufzugs-Modell. Wie das technisch funktioniert, erklärt uns Wikipedia.
  • rebrand.ly/poulantzas Wer erinnert sich noch an die Bücher und Aufsätze des französisch-griechischen Politikwissenschafters und Marxisten Nicos Poulantzas, der im Alter von 43 Jahren den Freitod wählte? Wiederum auf Wikipedia lesen wir: «Der Staat verfügt nach Poulantzas’ Theorie im Kapitalismus über eine ‹relative Autonomie› von der ökonomischen Sphäre, wie auch die einzelnen Staatsapparate untereinander in relativer Autonomie zueinander stehen.» Poulantzas ging von verschiedenen Ebenen oder Instanzen in der Produktion des gesellschaftlichen Lebens aus, der ökonomischen, politischen und ideologischen, die alle eine relative Autonomie besitzen, aber notwendig miteinander verbunden sind. Tönt etwas komplizierter, als es in der Praxis ist. Der Zusammenhang zwischen Frauenstreik, Klimagesetz und Mindestlohn belegt dies.

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