Betonbauten sind alles andere als klimafreundlich. Doch was tun, wenn der Wohnraum knapp und teuer wird? Baufachleute geben Antworten – und ein Start-up etwas Hoffnung.
SACKZEMENT: Für einen Kubikmeter Beton werden neben Gestein und Wasser etwa 300 Kilo Zement benötigt. Seine Herstellung ist sehr energieintensiv und verursacht weltweit gegen 3 Gigatonnen CO2-Emissionen. (Foto: Keystone)
Beton ist eine Erfindung der Antike. Schon die alten Römer bauten damit. Das Mittelalter setzte dagegen wieder auf Steinbauten. Erst um 1850 erfuhr der Beton eine Renaissance. Und seither geht es steil aufwärts. Doch welche Figur macht der beliebte Baustoff in Zeiten von Klimaerwärmung und Wohnungsnot? «Wir sind auf keinem guten Weg», sagt dazu Eric Ducrey. Der Freiburger kennt sich mit beidem aus: mit dem Bauen und mit der Umwelt. Ducrey ist nämlich Bauarbeiter, aktives Unia-Mitglied und Klimabewegter bei Renovate Switzerland. Er sagt: «Vom betonbasierten Bauen müssen wir dringend wegkommen, wenn wir die Klimakatastrophe noch aufhalten wollen.»
Gleich sieht das die Zürcher Umweltwissenschafterin Alex Tiefenbacher. Sie erklärt: «Für die Herstellung von Beton braucht es Zementklinker. Und Zementklinker muss bei hohen Temperaturen gebrannt werden. Das ist ein extrem CO2-intensiver Prozess, der nicht elektrifiziert werden kann.» Das hat Folgen: Laut dem Schweizer Emissionshandelsregister verursachten die sechs Schweizer Zementwerke 2022 2,4 Millionen Tonnen Klimagase. Das sind über 5 Prozent der gesamten Schweizer Emissionen.
Beton zu produzieren ist extrem CO2-intensiv.
POLITIK SCHLÄFT
Das Problem mit dem Beton ist bekannt, politisch behandelt werde es bis heute aber kaum, sagt auch der Architekt Andreas Haug. Er ist Mitglied von Vision 2030, einem Verein von Architektinnen und Architekten, die das Bauen bis 2030 klimaneutral machen wollen. Zwar sei die Betriebsenergie, also etwa das Heizen, immer noch für mehr Emissionen verantwortlich. Doch für Architekt Haug bestehe hier wenigstens ein gewisses Problembewusstsein in Politik und Industrie. Anders beim Beton: «Bisher kennt die Schweiz kein einziges Gesetz, das sich auf diese Bauemissionen bezieht. Das hat man verschlafen. Zugleich wird gebaut wie verrückt.»
Es scheint eine Zwickmühle: Einerseits kann sich die Schweiz konventionelle Neubauten klimatechnisch schon lange nicht mehr leisten. Andererseits scheint die zunehmende Wohnungsnot den Neubau-Boom zu rechtfertigen. Oder doch nicht?
Der Pro-Kopf-Verbrauch von Wohnraum muss sinken.
MEHR WOHNRAUM NÖTIG
Antonia Steger ist Mitbetreiberin von Mieten Marta, einem Rechercheblog zum «Mietenwahnsinn» in der Stadt Zürich. Sie sagt: «Es ist klar, dass es mehr Wohnraum braucht. Aber die Frage sollte sein, wie man mit dem bestehenden Wohnraum besser umgeht, statt neu zu bauen.» Dem pflichtet auch Architekt Haug bei: «Die Schweiz ist gebaut. Dafür haben wir aber einen riesigen Renovationsbedarf, dem wir in Zeiten von Fachkräftemangel und Materialengpässen kaum nachkommen.» Vor diesem Hintergrund lässt Haug auch das Argument, eine Reduktion der Neubauten würde zu Arbeitslosigkeit führen, nicht gelten: «Um diese Renovationen zu bewältigen, braucht es auch mehr Fachkräfte, die heute fehlen.»
Doch bedeuten Renovationen nicht automatisch höhere Mieten und somit auch Verdrängung? «Nein», sagt Steger von Mieten Marta. Denn: «Wenn man vernünftig saniert und vor allem ökologische Massnahmen im Fokus hat, nicht aber Grundrisse verändert oder eine luxuriöse Erneuerung anstrebt, dann steigen die Mietzinse in einem Rahmen, der für mehr Menschen leistbar ist.» Die Politik müsse klare Leitplanken gegen die Profitmaximierung setzen und die Rechte der Mietenden stärken.
HOLZ ALS ALTERNATIVE?
Für Um- statt Neubauten spricht sich auch Baubüezer Ducrey aus: «Der erste Ansatz sollte immer Renovation sein und erst, wenn diese nicht möglich ist, Neubau.» Wobei bei Neubauten auf Betonalternativen wie beispielsweise Holz gesetzt werden sollte.
Doch auch dieser Ansatz ist nicht perfekt: «Beton lässt sich nicht überall ersetzen. Und der Nachschub an Bauholz aus unseren Wäldern ist begrenzt», sagt Klimaexpertin Tiefenbacher. Und Architekt Haug ergänzt: «Beim Holz kommt es auf die Herkunft und den Verarbeitungsprozess an. Das, was wir heute als Holzbau bezeichnen, besteht in der Regel noch aus vielen anderen, oftmals wenig nachhaltigen Materialien.» Um Alternativen zu fördern und die Forschung in diesem Bereich voranzutreiben, müsse deshalb in erster Linie Beton an Attraktivität verlieren. Dazu Alex Tiefenbacher: «Um das zu erreichen, müsste das CO2, das bei der Herstellung entsteht, endlich einen höheren Preis bekommen.»
EINE VERTEILUNGSFRAGE
Für Architekt Haug ist die Wohnungskrise aber in erster Linie eine Verteilungskrise. Er sagt: «Wenn die ganze Schweiz ungefähr dieselbe Wohnfläche brauchen würde wie die Einwohnerinnen von Basel-Stadt, hätten wir plötzlich Wohnfläche für eine Million Menschen zusätzlich – ganz ohne Neubauten.» Tatsächlich ist der Pro-Kopf-Verbrauch von Wohnraum in den letzten Jahren stark gestiegen. Hinzu kommen Zweitwohnungen, Airbnb und Ferienwohnungen, die über lange Zeitperioden leer stehen.
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