Die Sonne brennt, der Schweiss rinnt – und schon ist’s passiert: Steigen die Temperaturen auf über 30 Grad, steigt das Unfallrisiko auf Baustellen. Laut Zahlen der Suva passieren an Hitzetagen 7 Prozent mehr Unfälle. Wer in der sengenden Sonne und bei Ozon-Spitzen- werten Schwerarbeit leistet wie die Bauleute, hat auch ein höheres Risiko für Dehydrierung, Hitzschlag und Sonnenstich.
Das Hitzerisiko wird durch die Klima- erwärmung noch verschärft, bis Ende Jahrhundert dürfte die durchschnittliche Sommer- temperatur um bis zu 7 Grad steigen. Damit verbunden ist eine Zunahme der Hitzetage. Bereits heute sind Baufirmen gesetzlich verpflichtet, ihre Mitarbeitenden vor Hitzefolgen zu schützen. Dazu gehören zusätzliche Pausen im Schatten, um abzukühlen. Bei Temperaturen ab 32 Grad legt das Seco-Merkblatt «Arbeit bei Hitze» fest: Alle ein bis zwei Stunden fünf bis zehn Minuten Pause – und die gelten als Arbeitszeit. Der Landesmantelvertrag (LMV) schreibt sogar vor, dass Bauarbeiten unterbrochen werden müssen, wenn die Wetterbedingungen die Gesundheit der Arbeitnehmenden gefährden.
Oft wird die Sicherheit der Bauleute dem Termindruck geopfert.
ÖFFENTLICHE HAND BESONDERS STUR
Doch diese Sicherheitsbestimmungen wer- den oft nicht eingehalten. Laut einer Unia- Umfrage konnten während der Hitzeperiode Ende Juli 2022 nicht einmal 20 Prozent der Bauleute die vorgegebenen Hitzepausen einlegen. Chris Kelley, Co-Leiter Bau bei der Unia, sieht die Verantwortung dafür oft bei den Bauherren: «Viele von ihnen beharren darauf, dass die ursprünglichen Fristen trotz Hitzewellen einzuhalten seien. Wie die Baufirmen das schaffen und gleichzeitig die Sicherheitsmassnahmen einhalten sollen, das sei nicht ihr Problem.» Damit geraten die Baufirmen gewaltig unter Druck, da hohe Konventionalstrafen drohen, wenn sie Fristen nicht einhalten. Unia-Mann Kelley: «Das führt oft dazu, dass das Einhalten der Schutzbestimmungen, und damit die Sicherheit der Bauleute, dem Termindruck geopfert werden.»
Auffällig oft, so Kelley, gehe dieser Druck von öffentlichen Auftraggebern aus. Statt ihre Vorbildfunktion ernst zu nehmen, würden Bauherren wie das Bundesamt für Strassen (Astra) oder die SBB oftmals Termine durch- drücken, die von den Bauequipen als unrea- listisch und damit auch als gefährlich betrachtet werden. «Sie schalten auf stur und sagen, am Termin gebe es nichts zu rütteln.»
Zwar kennt die Baubranche längst Re- geln für solche Verzögerungen. Der Schweizerische Ingenieur- und Architektenverein (SIA) gibt Baunormen heraus, darunter die «Allge- meinen Bedingungen für Bauarbeiten». Laut diesen müssen Fristen bei einer unverschuldeten Verzögerung «angemessen erstreckt werden». Für Kelley würde dieser Grundsatz den Termindruck auf dem Bau entgegen- wirken. «Aber viele Bauherren weigern sich in ihren Verträgen, diese SIA-Norm als Grund- lage anzuerkennen. Das ist inakzeptabel!»
BAU-STOP AB 35 GRAD
So oder so fordert die Unia: Ab 35 Grad muss eine Baustelle geschlossen werden. Allerdings zeigte sich der Baumeisterverband bisher nicht bereit, darauf einzutreten – zumindest auf Bundesebene .
Vorwärts geht’s dagegen in den Kantonen, die am stärksten von der Hitze betroffen sind: Im Tessiner Strassenbau haben sich die Sozialpartner schon vor einigen Jahren darauf geeinigt, dass Bauarbeiten ab einer gewissen Uhrzeit eingestellt werden, wenn die Behörden eine Hitzewarnung ausgeben. Eine ähnliche Einigung konnte soeben auch für den Tessiner Hochbau und die Walliser Baubranche erzielt werden. Unia-Mann Kelley sagt: «Ab sofort müssen in beiden Kantonen bei grosser Hitze die Arbeiten ab Anfang Nachmittag eingestellt werden.»