Für alle das richtige Outfit finden und noch Zeit haben für einen Schwatz: das ist Filialleiterin Karin Briggen. Am meisten gelernt, sagt sie, habe sie als Unterwäscheverkäuferin.
DER MIX PASST: Im Modegeschäft ist Karin Briggen (42) Tätschmeisterin, berät aber auch Kundinnen (Foto: Matthias Luggen)
«Jupi, mein Holländer ist da», ruft Karin Briggen. Strahlt und beschleunigt ihre Schritte durch das Bälliz, die Thuner Einkaufsmeile. Hier will sie dem work-Reporter ihren Arbeitsplatz zeigen, die Filiale der Modekette Only. Aber zuerst kommt der Holländer dran. Den Mann im Übergwändli hat sie sehnlichst erwartet, denn seit gestern ist die Klimaanlage defekt. Und das an einem heissen Sommertag!
Briggen begrüsst ihn wie einen alten Freund, plaudert mit ihm auf englisch, wechselt zwischendurch sogar ins Holländische. Und stellt erleichtert fest: Drinnen ist es wieder kühl. Und nicht 28 Grad wie tags zuvor.
Seit Anfang Jahr arbeitet die 42jährige hier als Filialleiterin. Etwa die Hälfte der Zeit verbringe sie als Tätschmeisterin für die neun Mitarbeiterinnen, sagt sie, mache Einsatzpläne und andere Büroarbeiten. Die andere Hälfte sei sie selber am Verkaufen. Zwar sagt sie, diesen Mix fände sie perfekt. Aber ihr Herz, das wird deutlich, schlägt für den Verkauf. «Wenn jemand sagt, ich gehe an eine Hochzeit oder an eine Party, was hast du mir – dann bin ich voll im Element. Oder auch, wenn eine Stammkundin nur hurti für einen Schwatz reinkommt. Genau das liebe ich an diesem Job!»
Und dann die Kleider. Farbig, für jeden Typ etwas – «total coole Sachen». Das fange schon beim Auspacken der neuen Waren an, wenn eine Kollegin der anderen die tollsten Teile zeige. «Das gibt Power!»
EXPERTISE. So richtig gelernt hat Briggen das Verkaufen an ihrer vorhergehenden Stelle: 15 Jahre war sie Filialleiterin bei der Unterwäsche- und Bademodekette Beldona. Da habe sie viel dazugelernt in Sachen Kommunikation und Psychologie. Das Ziel einer guten Verkäuferin sei nicht, der Kundin etwas anzudrehen, sondern ihr das richtige Produkt zu geben. Gerade bei Unterwäsche sei das wichtig, sagt Briggen, denn: «Zu uns kamen viele Frauen, die beim Wäschekauf schlechte Erfahrungen gemacht hatten oder mit wenig Selbstbewusstsein, was ihren Körper angeht.» Oft habe sie schon von weitem gesehen: Diese Frau trägt den falschen BH, der kann gar nicht bequem sein. Solchen Frauen dann das richtige Modell zu finden und zu erleben, wie sie happy den Laden verlassen: «Das ist so ein schönes Erlebnis!»
Jetzt schmunzelt Karin Briggen und sagt: Wenn ihr als Jugendlicher jemand gesagt hätte, dass sie mal als Filialleiterin arbeiten würde, sie hätte die Person für verrückt gehalten. «Ich war im Partyrausch, wollte das Leben geniessen.» Sie war keine gute Schülerin, machte nach einem zehnten und elften Schuljahr ohne viel Begeisterung eine Lehre als Lebensmittelverkäuferin, wechselte ein paar Jahre später zu H & M. Dort habe sie dann angefangen, sich für das Business zu interessieren, mehr und mehr «driigschnuret» und Lust bekommen, Verantwortung zu übernehmen.
ALBTRAUM. Und tatsächlich: Mit 25 Jahren bekam sie bei einer anderen Modekette den Job als Filialleiterin. Doch von Traumjob keine Spur. Ein Jahr habe sie dort gearbeitet, konnte aber gerade mal eine Woche Ferien machen. Von Anfang an sei ihr klargemacht worden: Du wolltest die Stelle, jetzt musst du zeigen, was du kannst. «Ich war der Tubel für alles», so Briggen. «Vom WC-Putzen bis zum Lämpliwechseln musste ich alles machen.» Und das zu einem Lohn von 3500 Franken brutto im Monat! Heute sagt sie: «Ich war naiv. Ein Glück, dass ich schon bald zu Beldona wechseln konnte. Dort war auch der Lohn um einiges besser.»
Miese Löhne für Filialleiterinnen, das komme in der Modebranche oft vor, weiss Unia-Mitglied Briggen: «Ich kenne mehrere, die brutto nur knapp über 4000 Franken erhalten. Das ist doch eine Katastrophe!» Ihren genauen Lohn bei Only will sie nicht verraten, sagt aber: «Für mich haben alle, die voll arbeiten, einen Monatslohn verdient, der mit einer Vier anfängt. Bei einer Filialleiterin muss eine Fünf vornedran stehen. Mindestens! Etwas anderes würde ich nicht mehr unterschreiben.»
FLEX-VERTRÄGE. Die tiefen Löhne und die unregelmässigen Zeiten machten die Arbeit im Detailhandel unattraktiv, sagt Briggen. In letzter Zeit sei noch etwas dazugekommen: Es gebe kaum mehr Stellen mit fixen Prozenten, oft müssten die Mitarbeitenden zwischen 30 und 70 Prozent «flexibel» sein. Aber für Leute mit Kindern sei das nicht machbar: «Die müssen doch im voraus wissen, wann sie eine Betreuung brauchen. Und wie viel Geld sie Ende Monat auf dem Konto haben!»
Sie weiss auch, wann diese Praxis Einzug gehalten hat: mit den Einschränkungen während der Corona-Pandemie. Da hätten alle Firmen gemerkt, dass für sie so die Planung viel einfacher werde – und offenbar genügend Leute keine andere Wahl gehabt hätten, als solche schlechten Verträge zu akzeptieren.
Und ja, ihre Filiale sei da keine Ausnahme: Drei bis fünf Leute brauche es gleichzeitig im Laden. Sie habe aber nur zwei mit einem fixen Lohn, dazu sieben Aushilfen mit flexiblem Pensum. Zum Planen sei das für sie als Chefin natürlich total praktisch. «Aber als Mensch verstehe ich alle, die das nicht wollen.»
Karin BriggenTechno & Turtles
Was Karin Briggen an ihrem Job liebt, macht ihr auch in der Freizeit Freude: Zeit mit Menschen zu verbringen. Sei es mit Kolleginnen, Freunden oder der Familie – Mutter und Bruder wohnen beide in der Nähe. Gern geht’s auch mal zum Tanzen in einen Techno-Club. Was sie auch liebt: die Sonne. «Für mich bräuchte es keinen Winter», sagt sie und lacht. In Thun sei sie deshalb oft in der Badi anzutreffen, in den Ferien zieht es sie in den Süden. Etwa nach Gran Canaria – die Insel ist als Tattoo auf ihrem Unterarm verewigt – oder nach Italien.
UNIA? KLAR! Briggen lacht nochmals und sagt, demnächst starte sie einen Italienischkurs. «Damit ich auch dort alle z Bode schnure kann.»
Die 42jährige lebt in Steffisburg BE mit ihrem Freund, einem Herrenmodeverkäufer, und den zwei «Turtles» (Schildkröten) Lu und Mo. Unia-Mitglied ist sie seit 2011. Damals habe ein Unia-Sekretär sie am Arbeitsplatz angesprochen. «Da habe ich begriffen: Es bringt nichts, wenn ich nur ausrufe über Dinge, die mich stören – ich muss auch versuchen, sie zu ändern!»
Die Post streicht 170 Stellen, weil wir weniger Briefe und Postkarten verschicken sowie weniger Zahlungen am Postschalter tätigen. Gibt es denn keine Alternativen?
Kürzlich in meiner Molkiabteilung: Ein Kunde hält mir eine Packung Milch vor die Nase und fragt, warum diese Milch mit dem heutigen Ablaufdatum noch zu verkaufen sei.