«Wir haben die gestiegenen Energiekosten vollumfänglich an die Kunden weitergegeben», gab Clariant-Chef Conrad Keijzer letzten Oktober gegenüber der NZZ unumwunden zu. Dies habe dem Chemiekonzern aus Muttenz ermöglicht, die Umsatzrendite zu steigern. Ähnlich tönte es im Frühling bei Nestlé-CEO Mark Schneider. Und der Industriekonzern ABB liess verlauten, man habe die Marge dank einer «robusten Preis- und Volumenentwicklung» erhöht. Im Klartext: Die Firmen haben mitten in der Kaufkraftkrise ihre Preise angehoben und weiter Gewinne eingestrichen.
KOSTEN ABGEWÄLZT. Nicht nur Clariant, Nestlé und ABB haben in den letzten eineinhalb Jahren ihre Margen beibehalten oder gar vergrössert. Die meisten Unternehmen konnten die steigenden Kosten über Preiserhöhungen auf die Kundinnen und Kunden abwälzen (siehe Grafik). So haben etwa Stahlwerke die teureren Strom- und Gaskosten mit höheren Stahlpreisen finanziert. Die Baumeister ihrerseits zögerten nicht, die höheren Preise für den Stahl – aber auch fürs Holz, den Beton und die übrigen Materialien – den Bauherrinnen zu verrechnen. Und auch die Detailhändlerinnen haben die gestiegenen Einkaufspreise bei den Lebensmitteln mit höheren Preisen im Laden ausgeglichen.
Die Firmen konnten die Preise erhöhen, weil die Energiekosten für alle stiegen. Doch während die höheren Energiepreise bei vielen Haushalten ein Loch in die Kasse reissen, konnten die Firmen ihre Mehrkosten einfach abwälzen. Ihnen hat dabei auch die gute Nachfrage geholfen. Nach der Pandemie konsumierten viele Menschen mehr. Zudem holten die Unternehmen aufgeschobene Investitionen nach und hamsterten Material, um sich gegen Lieferkettenprobleme abzusichern. Die Verkaufsabteilungen hatten so leichtes Spiel, um mehr für ihre Produkte zu verlangen.
KAUFKRAFT STÄRKEN. Während die Unternehmen ihre Gewinne sichern, zahlen die Arbeitnehmenden die Zeche. Die Löhne sind weniger gestiegen als die Preise. Im Durchschnitt können sich die Beschäftigten heute mit ihrem Lohn weniger leisten als 2015. Die Kaufkraft muss dringend wieder gestärkt werden. Die Arbeitenden dürfen nicht als einzige auf den Kosten sitzenbleiben. Deshalb – und um das schwache Lohnwachstum von vor der Pandemie auszugleichen – müssen die Löhne um 5 Prozent rauf.
David Gallusser ist Ökonom beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB).