ABB Sécheron: Das Management will 150 Arbeitsplätze nach Polen auslagern
Dicke Luft in Genf

Arbeiter Laurent versteht die Welt nicht mehr, auch sein Arbeitsplatz soll in die polnische Stadt Lodz ausgelagert werden. Um Kosten zu sparen. Nun wehrt er sich, zusammen mit seinen Kollegen.

Nicht mit uns: Die Büezer in Genf wehren sich gegen den geplanten Kahlschlag. (Foto: Darrin Vanselow)

Meyrin, 13. November. Die Belegschaft der ABB lädt zur Pressekonferenz. Ausser der Securitas-Patrouille ist allerdings noch kein Mensch zu sehen. Das Fabrikgelände ist abgesperrt: Zutritt unmöglich. In der Ferne leuchten weiss die Jurakreten. Die Bise treibt Schneeflocken durch die Rue des Sablières im Genfer Industrieviertel.

Plötzlich fliegt die Türe beim ABB-Haupteingang auf, über 150 Männer und einige Frauen strömen nach draussen, dicht gedrängt, blaugraue Arbeitsgwändli und Pullover mit leuchtend roten ABB-Signeten. Hände vergraben sich in Hosentaschen, Nervosität herrscht. Und dicke Luft: 100 Festangestellte und rund 50 Temporäre sollen bis Mitte 2019 entlassen werden, die Produktion der Traktions-Transformatoren für Eisenbahnen soll nach Polen gehen. Dagegen protestiert die Belegschaft, unterstützt von der Gewerkschaft Unia, mit einem kollektiven Konsultationsverfahren. Seit Tagen diskutieren die Büezer und Ingenieure in Arbeitsgruppen, wie die Stellen in Genf gerettet werden können. Während dieser Zeit stehen die Maschinen still. Unia-Mann Alessandro Pelizzari sagt: «Mit unserem kollektiven Konsultationsverfahren halten wir den Gesamtarbeitsvertrag strikte ein!»

Plötzlich ruft ein junger Mann: «Ist denen da oben eigentlich bewusst, was sie uns antun?» Und versteckt sich gleich wieder in der Menge, bloss nicht auf ein Foto kommen.

Den Mut nicht verlieren: Die ABB-Angestellten versuchen alles, um ihre Stellen zu retten. (Foto: Darrin Vanselow)

MAUDET IST ZUVERSICHTLICH

Laurent hat dreissig Jahre ABB auf dem Buckel, und sagt: «Das ist doch nicht normal, dass alles nach Polen verlagert wird! Wir haben gute Geschäftszahlen hier, die Auftragsbücher sind voll, wir haben so viel zu tun, das macht doch alles keinen Sinn!» Von ABB Schweiz gibt es dazu keine Auskunft: «Da wir in der Konsultationsphase sind, können wir leider keine weiterführenden Informationen geben», schreibt die Medienabteilung.

Daniel, der seit 35 Jahren in Meyrin chrampft, holt tief Luft und erklärt: «Ich lasse mich sicher nicht von diesem Kerl aus Zürich schassen!» Der «Kerl» ist Remo Lütolf, Vorsitzender der Geschäftsleitung von ABB Schweiz. Er war für Gespräche in der Fabrik vorbeigekommen, ebenso wie der Genfer Staatsrat Pierre Maudet. Sie haben zusammen mit Vertretern der ­Belegschaft und der Gewerkschaft Unia eine Taskforce gegründet. Aber das beruhigt die Gemüter der Büezer an diesem eisigen Montagnachmittag gar nicht. Guillaume, seit zehn Jahren bei ABB in Genf, ist enttäuscht und verärgert: «Die Direktion schaltet auf stur, die sind doch gar nicht an einer Lösung interessiert. Sie haben noch keinen ein­zigen brauchbaren Vorschlag ­gebracht.»

Das sieht Volkswirtschaftsminister Maudet anders. Gegenüber work meint er: «Ich bin weiterhin zuversichtlich, dass wir eine Lösung finden, um alle oder wenigstens einen Teil der Stellen zu erhalten.»

VOLLE AUFTRAGSBÜCHER

Bei ABB Sécheron gibt es derzeit so viel Arbeit, dass noch mehr Temporäre eingestellt werden mussten. Unia-Gewerkschafter Pelizzari sagt: «Das Werk bricht unter den Aufträgen fast zusammen. Es ist profitabel, es war immer profitabel.» Aber offenbar genügt das den Managern nicht. Tatsächlich will ABB-CEO Ulrich Spiesshofer die Produktionskosten senken. Mit der Verlagerung von Arbeitsplätzen nach Polen, wo die Löhne tiefer sind. Damit schneide er sich aber ins eigene Fleisch, kritisieren Branchenkenner (siehe «Kommerzieller Selbstmord»).

«Ich bin zuversichtlich, dass wir eine Lösung finden, um alle oder wenigstens einen Teil der Stellen zu erhalten. In Genf haben öffentliche Hand und Privatwirtschaft gemeinsam ein grosses Know-how für die nachhaltige Mobilität der Zukunft aufgebaut. In diesem Geist will ich mit ABB Sécheron weiter zusammen­arbeiten.»

Dass der Auslagerungsplan als langfristige Strategie nicht aufgehen kann, will auch die Belegschaft aufzeigen. Unia-Mann Alessandro Pelizzari ist begeistert: «Die Solidarität, die Kampfbereitschaft und die Krea­tivität der Belegschaft sind enorm! Ich bin optimistisch, dass mit einer breit angelegten E-Mobility in Genf auch weiterhin alle Industriearbeitsplätze erhalten werden können. Die Tosa-Busse sind erst der Anfang.»

Im Dezember sollen zwölf der neuen Elektrobusse auf der Genfer Linie 23 eingeweiht werden – ein Prestigeprojekt nicht nur für ABB, sondern auch für die Genfer Regierung. Der Kanton hat die Entwicklung der neuen Ökobusse mit 15 Mil­lionen Franken unterstützt. Staatsrat Maudet betont, wie wichtig solche innovativen Projekte für Genf seien: «Die Tosa-Busse zeigen, wie fruchtbar die Zusammenarbeit von öffentlicher Hand und Privatwirtschaft sein kann. In diesem Geist der gegenseitigen Verantwortlichkeit will ich mit ABB Sécheron weiter zusammenarbeiten.»

Am kommenden Montag wird die neugegründete Taskforce zum ersten Mal tagen. work bleibt dran.

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