Domenica Priore (55) und Tim V. (37) sind trans und stehen dazu
Wenn man als Kind spürt, dass man anders ist

Fotos: Michael Schoch

Es trauen sich immer mehr Menschen, zu ihrer Sexualität und ­Geschlechtsidentität zu stehen. So auch Unia-Mitglied Domenica Priore und Dragqueen Tim V. Doch einfach sei es nicht, erzählen die beiden.

Sie sind bunt, laut – und richtig mutig. Besonders sichtbar war die LGBTQ¹-Community im Juni bei den Pride²-­Paraden im ganzen Land. Doch eine Party ist das Leben für queere³ Menschen hierzulande nicht. Denn vielfach erfahren sie Unverständnis, Diskriminierung oder gar Gewalt. So auch Domenica Priore (55) und Tim V. (37), der ­seinen ganzen Namen aus diesen Gründen nicht in der Zeitung lesen möchte. Beiden wurde bei der Geburt ein Geschlecht zugewiesen, mit welchem sie sich nicht identifizieren können.

Domenica Priore sagt: «Ich habe mich gefühlt, als wäre ich im falschen Team, im falschen Verein.» Wenn die 55jährige heute über ihre Kindheit spricht, kommen ihr schwierige Situationen in den Sinn. Geboren als Junge – damals Domenico genannt – wuchs sie in einer italienischen und streng katholischen Familie auf. Dass sie sich als Domenico unwohl fühlte, hat sie früh bemerkt. «Ich habe mich immer wieder gefragt: Was ist los mit mir?»

Anders war es bei Tim V.: «Ich habe bereits als Kind nicht gerne Bikinis angezogen.» In seiner Klasse hat er sich an den Buben orientiert und wurde in seinem Umfeld als Junge wahrgenommen. Auch seine Eltern haben früh gemerkt, dass Tim – damals noch Claudia – anders ist. Dementsprechend liess das Outing⁴ nicht lange auf sich warten.

«Seit einigen Monaten spüre ich wieder starke Ablehnung und Ausgrenzung in der Öffentlichkeit.»

ENORMER DRUCK

Tim V. sagt: «Mein Coming-out⁴ als Transmann⁵ war vor drei Jahren. Doch bis zu diesem Schritt stand ich unter enormem psychischem Druck. Ich versuchte, mich in eine Welt reinzuquetschen, in die ich schon lange nicht mehr passte.» Nach einer Reise in die USA hat sich für Tim V. eine neue Perspektive geöffnet: «Dort habe ich viele verschiedene Menschen kennengelernt.» Er habe sich dar­aufhin vertieft mit dem Thema ­auseinandergesetzt, Bücher gelesen und mit Transmenschen gesprochen. Schnell kam die erleichternde Erkenntnis: «Mir wurde endlich sonnenklar: Ich bin ein Mann!» Das Umfeld hat Tim in seiner Geschlechtsangleichung unterstützt, auch seine Eltern. Doch: «Sie haben sich immer grosse Sorgen gemacht und hatten auch Angst um mich.»

Die Geschlechtsangleichung ist ein schwieriger Weg. Das erzählen Tim V. und Domenica Priore. In einem ersten Schritt muss man eine psychologische Abklärung durchführen. Erst mit der Zustimmung einer Fachperson kann man seinen Personenstand, also sein Geschlecht im Pass, anpassen lassen und mit einer Hormontherapie starten. Wie weit man hier gehen will, entscheidet eine Transperson selbst. Denn um eine Geschlechtsangleichung endgültig durchzuführen, braucht es schmerzhafte Operationen. Doch immerhin: In den vergangenen Jahren wurde der Zugang dazu immer mehr erleichtert.

Das Coming-out von Domenica Priore ist schon viele Jahre her. Sie sagt: «Mit dem Internet kam meine Befreiung.» Schon länger hatte sie sich heimlich geschminkt und ging in Zürcher Clubs, wo queere Menschen akzeptiert waren. Sich an ihrem Arbeitsplatz und besonders in ihrer Familie zu outen kostete sie unheimlich viel Überwindung. Sie erinnert sich: «Bei der Arbeit als Sanitärinstallateurin hatte ich Angst, wie meine Kollegen reagieren würden. Doch sie hatten keine Pro­bleme damit.» Schwierig war es hingegen in ihrem privaten Umfeld. «Als ich meiner Familie mitteilte, dass ich ab jetzt als Frau leben wolle, war besonders mein Vater schockiert. Meine Mutter weniger, weil sie es bereits länger im Gefühl hatte.»

UNTERSTÜTZUNG VOM TEAM

Trotzdem erlebte Domenica Priore Diskriminierung am Arbeitsplatz. Von anderen Bauarbeitern oder sogar Auftraggebern hört sie immer wieder dumme Sprüche. «Ich habe ein gutes Team, das viel Verständnis zeigt. Deshalb fühle ich mich in solchen Situationen auch nicht im Stich gelassen», sagt sie.

Foto: ZVG

Dragshow in Thun: Jetzt Tickets gewinnen!

In Thun wird’s im Oktober funkeln und glitzern: Die Dragqueen «Miss Drag a Lot» lädt in der Kulturstätte Mokka zur Dragshow. Die Gäste erwarten Tanz- und Gesangseinlagen von sechs Dragqueens aus der ganzen Schweiz. Das Motto: «Drags auf der Bühne – 80er Musik in den Ohren!»

work verlost zwei Tickets für die Show «qweertainment» am 21. Oktober 2023 ab 21 Uhr im Mokka Thun. Mitmachen können Sie per Mail an redaktion@workzeitung.ch mit dem Betreff «Dragshow» (Einsendeschluss: 8. 9. 2023).

Mehr zur Show finden Sie hier.

Tim V. arbeitete vor seinem Outing als Fitnesstrainer, heute fokussiert er sich auf seine Tätigkeit als Dragqueen⁶ und tritt als «Miss Drag a Lot» auf. Er ist also Transmann und Dragqueen? Dazu sagt Tim V.: «Ich bin ein Mann, weil ich mich so fühle. Trete ich als Dragqueen auf, schlüpfe ich in eine Rolle, in eine Kunstfigur.»

Jüngste Angriffe auf die Dragszene in Zürich haben bei Tim V. Unsicherheiten ausgelöst. Er sagt: «Ich habe oft Auftritte in Zürich. Seit diesen Angriffen traue ich mich nicht mehr, geschminkt von Bern nach Zürich zu fahren.» Auch Domenica Priore bemerkt eine zunehmende Intoleranz: «Transmenschen wurden stetig immer mehr akzeptiert, doch seit einigen Monaten spüre ich wieder starke Ablehnung und Ausgrenzung in der Öffentlichkeit.»

¹LGBTQ: steht für lesbisch, gay, bi, trans und queer. Ein Sammelbegriff für diverse sexuelle Orientierungen oder Geschlechts­identitäten.
²Pride: Demonstration von Menschen, die zur LGBTQ-Bewegung gehören oder diese aktiv unterstützen.
³Queer: Personen, die nicht heterosexuell oder nicht zur herkömmlichen ­Zwei-Geschlechter-Ordnung gehören.
⁴ Coming-out/Outing: Öffentlich zu seiner sexuellen Orientierung oder Geschlechts­identität stehen.
⁵ Transperson: Eine Person, die sich nicht mit dem Geschlecht identifiziert, mit dem sie geboren wurde.
⁶ Dragqueen: Männer, die in eine weibliche Kunstfigur schlüpfen. Sie sind auffällig geschminkt und legen einzigartige Shows mit humoristischen Zügen hin. 

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